Silberlinge
gescheitert.«
»Dann haben die anderen den Dieben das Grabtuch also wieder abgenommen?«
»Der Diebin, Singular. Die Chicagoer Polizei birgt vermutlich gerade die Leiche ihrer Partnerin.«
»Sind die beiden aufeinander losgegangen?«
»Keineswegs. Ein neuer Mitspieler hat Garcia getötet. Valmont konnte die dritte Partei jedoch überlisten, das Grabtuch an sich nehmen und fliehen.«
»Und Sie hielten es nicht für angebracht, ihr zu folgen?«
Mein Herzschlag beschleunigte sich nicht. »Sie ist wirklich schnell gerannt.«
Vincent schwieg eine Weile, ehe er weitersprach. »Damit haben wir das Grabtuch wieder verloren.«
»Im Augenblick schon«, sagte ich, »aber möglicherweise habe ich eine weitere Spur.«
»Wissen Sie, wo das Tuch momentan ist?«
Ich holte tief Luft und versuchte, es ihm möglichst ruhig zu erklären. »Noch nicht. Deshalb sprach ich ja auch von einer Spur und nicht von einer Erkenntnis. Ich brauche jetzt die Probe des Grabtuchs.«
»Um ehrlich zu sein, Mister Dresden, ich habe ein paar Fäden aus dem Vatikan mitgebracht, aber…«
»Schön. Schicken Sie einen davon in mein Büro und lassen Sie die Sendung beim Wachmann am Eingang abgeben. Er wird sie für mich aufbewahren, bis ich sie abholen kann. Ich rufe Sie wieder an, sobald ich etwas Konkretes weiß.«
»Aber…«
Nicht ohne eine gewisse Gehässigkeit legte ich auf. »Und Sie hielten es nicht für angebracht, ihr zu folgen«, ahmte ich Vincents Akzent nach, damit auch Mister etwas davon hatte. »Als ob ich dazu in der Lage gewesen wäre! Dieser verdammte Bürotrottel. Wie wär’s denn, wenn ich ein paarmal deine Glocke läute, dann kannst du deine Gläubigen persönlich zur Messe rufen.«
Misters Blick legte mir nahe, nicht so über zahlende Kunden zu reden. Ich funkelte ihn an, weil mir dies sehr wohl bewusst war, stand auf, ging ins Bad und wühlte herum, bis ich ein Stück Holzkohle und ein Klemmbrett gefunden hatte.
Dann zündete ich auf dem Tisch neben meinem bequemen großen Sessel mehrere Kerzen an und setzte mich mit dem Notizblock hin, den ich aus der Etranger mitgenommen hatte. So vorsichtig wie möglich fuhr ich mit der Holzkohle über das Papier und hoffte, dass Francisca Garcia keinen Filzstift benutzt hatte.
Es funktionierte. Inmitten des schwarzen Holzkohlestrichs erschienen kleine weiße Zeichen auf dem Papier. In der ersten Zeile stand Marriott, darunter 2345.
Ich runzelte die Stirn. Marriott – vielleicht ein Hotel? Es konnte allerdings auch ein Nachname sein oder ein französisches Wort. Nein, mach es nicht komplizierter, als es sein muss, Harry. Wahrscheinlich war es das Hotel. Die Ziffern konnten eine militärische Zeitangabe sein – eine Viertelstunde vor Mitternacht. Oder auch eine Zimmernummer.
Die Notiz verriet mir nicht genug, falls es sich überhaupt um eine Zeit- und Ortsangabe handelte.
Als Nächstes betrachtete ich das Handy, das ich mitgenommen hatte. Über diese Dinger wusste ich ungefähr ebenso viel wie über Bauchhöhlenchirurgie. Äußerlich waren keinerlei Markierungen zu entdecken, nicht einmal ein Markenname. Das Gerät war ausgeschaltet, und ich wagte nicht, es zu aktivieren, weil es dann wahrscheinlich entzweigegangen wäre. Womöglich explodierte es sogar. Ich musste bei nächster Gelegenheit Murphy bitten, das Telefon zu untersuchen. Mein Kopf hämmerte immer noch, und meine Augen brannten vor Müdigkeit. Ich brauchte dringend Ruhe. Durch den Schlafmangel wurde ich nachlässig. Ich hätte mich gar nicht erst auf das Schiff wagen dürfen und hätte beobachten müssen, was hinter mir geschah. Tatsächlich hatte ich ja das Gefühl gehabt, ich würde überwacht, aber ich war zu müde und zu ungeduldig gewesen, um mich zu wappnen. Daraufhin hätte man mich fast erschossen und gepfählt, außerdem hatte ich eine Gehirnerschütterung erlitten und wäre beinahe ertrunken.
Ich ging ins Schlafzimmer, stellte den Wecker auf zwei Uhr nachmittags und ließ mich aufs Bett fallen. Es fühlte sich unglaublich gut an.
Natürlich war die Ruhe nicht von Dauer.
Als das Telefon schellte, hatte ich nicht übel Lust, es in eine Umlaufbahn zu schießen, wo es sich meinetwegen mit dem Asteroiden Dresden herumtreiben konnte. Ich marschierte ins Wohnzimmer, nahm ab und bellte: »Was ist?«
»Oh, äh«, sagte ein nervöser Mann am anderen Ende. »Hier ist Waldo Butters. Ich würde gern mit Harry Dresden sprechen.«
Daraufhin erwiderte ich etwas höflicher: »Oh, hallo.«
»Ich habe Sie wohl geweckt,
Weitere Kostenlose Bücher