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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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sollte das bloß?
    »Ich muss dir was sagen.«
    »Offensichtlich.« O Gott, seine Abwehrmechanismen. Da blickte sie zu ihm herüber. Dunkle Augen. Wie keine andere. »Ich hab’ es versprochen«, eröffnete sie ihm. »Ich hab’ versprochen, heute Abend mit dir zu sprechen.«
    Versprochen? Er dachte es versuchsweise, sah sich selbst dabei zu, wie er es versuchsweise dachte. »Rachel, was ist los?«
    Blick wieder nach vorn. Ihre Hände.
    »Du warst einen Monat lang weg, Paul.« »Ich war einen Monat lang weg, ja. Du weißt, warum.« Vier Wochen vor ihrem Konzert hatte er sie alleingelassen. Hatte sie beide davon überzeugt, dass dies das Richtige war – der Zeitraum war ihr viel zu groß, er war ihr zu viel. Sie spielte acht Stunden am Tag; er wollte ihr die Möglichkeit geben, sich zu konzentrieren. Er flog mit Kev nach Calgary und fuhr dann das Auto seines Bruders durch die Rockies und anschließend nach Süden, die kalifornische Küste entlang. Hatte sie zweimal die Woche angerufen.
    »Du weißt, warum«, hörte er sich noch einmal sagen. Da hatte es angefangen.
    »Also, ich habe über einiges nachgedacht.«
    »Man sollte eigentlich immer über einiges nachdenken.« »Paul benimm dich nicht wie –«
    »Was willst du von mir?« fuhr er sie an. »Was soll das, Rachel?«
    So, so, so. »Mark hat mich gebeten, ihn zu heiraten.« Mark? Mark Rogers war ihr Begleitpianist. Student im letzten Semester, gutaussehend, freundlich, ein bisschen effeminiert. Es passte nicht. Wie er es auch drehte und wendete, es passte nicht.
    »Na gut«, entgegnete er. »So was passiert schon mal. Es passiert dann, wenn man eine Weile auf das gleiche Ziel hinarbeitet. Eine Theaterliebe. Er hat sich verliebt. Rachel, es ist leicht, sich in dich zu verlieben. Aber warum erzählst du mir das so?«
    »Weil ich vorhabe, ja zu sagen.«
    Ohne Vorwarnung. Geradeheraus. Auf so einen Schlag war er durch nichts vorbereitet. Eine Sommernacht, aber, o Gott, wie kalt ihm war. So kalt, ganz plötzlich.
    »Einfach so?« Ein Reflex. »Nein! Nicht einfach so. Sei doch nicht so kaltblütig, Paul.«
    Er hörte, wie er einen Laut von sich gab. Ein Keuchen, ein Lachen: irgendwo dazwischen. Jetzt zitterte er auch noch vor Kälte. Sei doch nicht so kaltblütig, Paul.
    »Das ist es doch grade«, sagte sie und verschränkte wieder die Hände. »Du bist immer so beherrscht, du denkst nach, überlegst dir alles. Wie damals, als du dir überlegt hast, dass ich es nötig hätte, einen Monat allein zu sein, oder warum Mark sich in mich verhebt haben soll. Soviel zum Thema Logik: Mark ist nicht so stark. Er braucht mich. Ich kann erkennen, wie sehr er mich braucht. Er weint, Paul.«
    Weint? Nichts erschien ihm mehr vernünftig. Was hatte Weinen damit zu tun?
    »Ich wusste gar nicht, dass die Niobe-Nummer bei dir ankommt.« Es war ungeheuer wichtig, mit dem Frösteln endlich aufzuhören.
    »Tut sie doch auch nicht. Bitte sei nicht so gemein, ich kann damit nicht umgehen … Paul, es geht darum, dass du dich nie wirklich hast gehen lassen, nie hast du mir das Gefühl gegeben, unersetzlich zu sein. Wahrscheinlich bin ich es auch nicht. Aber Mark … er legt, hinterher, manchmal den Kopf auf meine Brust.«
    »O Jesus, Rachel, nicht!«
    »Es ist die Wahrheit!« Der Regen war stärker geworden. Jetzt fiel ihm das Atmen schwer.
    »Demnach spielt er also auch Harfe? Ein vielseitiger Mann, muss ich zugeben.« Gott, so ein Schlag; ihm war so kalt.
    Nun weinte sie. »Ich wollte nicht, dass es so …«
    Sie wollte nicht, dass es so endete. Wie hätte es denn ihretwegen enden sollen? Oh, Frau, Frau, Frau.
    »Ist schon gut«, hörte er sich zu seiner eigenen Verblüffung sagen. Woher hatte er das genommen? Immer noch Schwierigkeiten mit dem Atmen. Regen auf dem Dach, auf der Windschutzscheibe. »Es wird schon alles gut werden.«
    »Nein«, erwiderte Rachel immer noch weinend, während der Regen herabtrommelte. »Manchmal wird eben nicht alles gut.«
    Schlaues, schlaues Mädchen. Früher hätte er die Hand ausgestreckt, um sie zu berühren. Früher? Vor gerade zehn Minuten. Erst vor zehn Minuten, ehe die Kälte gekommen war.
    Liebe, Liebe, die schlimmste Unstetigkeit. Oder doch nicht ganz die schlimmste.
    Denn dies war genau der Moment, als dem Mazda vor ihnen ein Reifen platzte. Die Straße war nass. Er kam seitlich ins Schleudern und stieß gegen den Ford auf der Gegenfahrspur, wurde zurückgeschleudert und überschlug sich, während der Ford von der Leitplanke abprallte.
    Es war nicht

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