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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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hatten. Eine andere Art Tier. Sollte es ihm an Duldsamkeit fehlen, war dies ein Makel, der niemanden überraschen dürfte.
    Er hatte ausgesprochen schnelle Reflexe. Das Messer befand sich in seiner Hand, und er duckte sich in die Mulde und kroch zwischen den Bäumen hinaus ins Freie, sobald er den mächtigen Schatten erblicken konnte, als der Mond kurz hinter den Wolken hervorkam. Der Himmel war bedeckt, sonst hätte er ihn früher erkannt. Er war sehr groß.
    Torc lag im Abwind, und das war gut so. In erhöhtem Tempo und vollkommen lautlos überquerte er das offene Gelände hin zu der Gestalt, die er gesehen hatte. Sein Bogen und sein Schwert waren bei seinem Pferd geblieben; wie töricht. Kann man einen Urgach mit einem Messer töten, fragte sich ein Teil seines Bewusstseins. Der Rest war damit beschäftigt, sich zu konzentrieren. Er war bis auf drei Meter herangekommen. Die Kreatur hatte ihn nicht bemerkt, aber sie war offensichtlich wütend, und sie war sehr groß – beinahe dreißig Zentimeter größer als er, und erschien ihm in den nächtlichen Schatten beinahe riesenhaft.
    Er beschloss, auf ein wenig Mondlicht zu warten und dann nach dem Kopf zu zielen. Man hielt sich nicht damit auf, derartige Alptraumkreaturen erst einmal anzusprechen. Die Größe der Gestalt machte sein Herz rasen – wie mochten die Reißzähne eines so großen Geschöpfes aussehen?
    Der Mond glitt hinter den Wolken hervor; er war bereit. Er holte zum Wurf aus: Der dunkle Kopf zeichnete sich deutlich vor der silbern erleuchteten Ebene ab, das Gesicht abgewandt, gen Norden.
    »Heilige Mutter Gottes!?« entfuhr es dem Urgach. Tores Arm war bereits im Begriff, sich zu senken. Mit äußerster Anstrengung hielt er den Dolch fest, wobei er sich selbst in die Hand schnitt.
    Kreaturen des Bösen riefen nicht die Göttin an, nicht mit solchen Stimmen. Als er im hellen Mondlicht ein zweites Mal hinsah, gewahrte Torc, dass es sich bei dem Wesen vor ihm um einen Mann handelte; in seltsame Gewänder gehüllt und ungeheuer groß, aber zumindest schien er unbewaffnet.
    Mit einem tiefen Atemzug richtete Torc so höflich, wie es die Umstände zu erlauben schienen, die Aufforderung an ihn: »Dreht Euch langsam um und gebt Euch zu erkennen!«
    Als er diesen barschen Befehl hörte, hüpfte Daves Herz ihm bis zum Hals, ehe es wieder in seinem Brustkasten in sich zusammenfiel. Wer, zum Teufel? Doch anstatt auf der Beantwortung seiner Frage zu bestehen, drehte er sich lieber langsam um und erklärte sich.
    Er wandte sich mit ausgestreckten Armen, nichts als die Beweisführungsnotizen in den Händen, der Stimme zu und sagte so gelassen wie er nur konnte: »Ich heiße Martyniuk. Dave Martyniuk. Ich weiß nicht, wo ich mich befinde, und ich suche nach jemandem namens Loren. Er hat mich hierher gebracht.«
    Ein Augenblick verging. Er spürte, wie der Wind aus dem Norden sein Haar zerzauste. Er hatte, wie er feststellte, große Angst.
    Dann erhob sich ein Schatten aus einer Mulde, die er zuvor nicht bemerkt hatte, und kam auf ihn zu.
    »Silbermantel?« fragte der Schatten und nahm gleich darauf im Mondlicht die Gestalt eines jungen Mannes wahr, der ohne Hemd dem Wind trotzte, barfuss war und schwarze Beinkleider anhatte. Er trug einen langen, lebensgefährlich wirkenden Dolch in der Hand.
    O Gott, dachte Dave. Was haben die mir angetan? Vorsichtig, die Augen unverwandt auf den Dolch gerichtet, antwortete er: »Ja, Loren Silbermantel. So heißt er.« Er atmete ein, versuchte sich zu beruhigen. »Bitte, missverstehen Sie mich nicht. Ich bin in friedlicher Absicht hier. Ich bin sogar gegen meinen ausdrücklichen Willen hier. Ich wurde getrennt … vorgesehen war, dass wir an einem Ort namens Paras Derval ankommen. Kennen Sie ihn?«
    Der andere Mann schien sich ein wenig zu entspannen. »Ich kenne ihn. Wie kommt es, dass Ihr ihn nicht kennt?«
    »Weil ich nicht von hier stamme«, rief David mit enttäuschter Stimme. »Wir sind von meiner Welt herübergekommen. Der Erde«, sagte er hoffnungsvoll, doch dann erkannte er, wie dumm diese Hoffnung war.
    »Wo ist dann Silbermantel?« »Hören Sie denn gar nicht zu?« brauste Martyniuk auf. »Ich erklärte Ihnen doch, wir wurden getrennt. Ich brauche ihn, um nach Hause zurückkehren zu können. Ich habe nichts anderes im Sinn, als so schnell wie möglich wieder heimzukommen. Können Sie das denn nicht verstehen?«
    Erneutes Schweigen.
    »Was«, fragte der andere Mann, »sollte mich davon abhalten, Euch einfach zu

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