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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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fand, sich mit ihm zu unterhalten. Die Arbeit wurde während der Nacht fortgesetzt, im Licht des seltsamen Mondes. »Nun wird er keine voreiligen Schritte unternehmen, denke ich.«
    »Wir auch nicht«, ergänzte Ivor nachdenklich. »Es wird eine Weile dauern, bis wir dort sind. Ich will, dass wir im Morgengrauen aufbrechen.«
    »Ich werde bereit sein«, versicherte der alte Schamane. »Helft mir nur aufs Pferd und wendet es in die richtige Richtung.«
    Ivor fühlte Zuneigung zu Gereint in sich aufsteigen. Der Schamane war nun schon so lange weißhaarig und runzlig, dass die Zeit für ihn keine Geltung zu haben schien. Doch das war nicht der Fall, und die eilige Reise des morgigen Tages würde anstrengend für ihn sein.
    Wie so oft schien Gereint seine Gedanken zu kennen. »Ich hätte nie gedacht«, sagte er ganz leise, »dass ich so lange leben würde. Jene, die vor diesem Tag verstorben sind, sind möglicherweise die Glücklicheren.«
    »Möglicherweise ja«, gab Ivor sachlich zu. »Es wird Krieg geben.«
    »Und haben wir Männer vom Format Revors und Colans und Ra-Termaines und Seithrs in unserer Mitte? Haben wir Amairgen oder Lisen?« fragte Gereint betrübt.
    »Wir werden uns nach ihnen umsehen müssen«, folgerte Ivor schlicht. Er legte die Hand auf die Schulter des Schamanen. »Ich muss gehen. Bis morgen.«
    »Bis morgen. Aber kümmere dich um Tabor.«
    Ivor hatte vorgehabt, das Beladen der Wagen bis zum Schluss selbst zu überwachen, übertrug jedoch Cechtar diese Aufgabe und entfernte sich, um schweigend neben seinem Sohn zu sitzen.
    Zwei Stunden später erwachte Tabor, wenn auch nicht wirklich. Er erhob sich von seinem Bett, doch Ivor dämpfte seinen Freudenschrei, denn er sah, dass sein Sohn in einen Wachtraum verstrickt war, und es war bekanntermaßen gefährlich, bei solch einer Gelegenheit zu stören.
    Tabor kleidete sich flink und schweigend an und verließ das Haus. Draußen im Lager war es endlich ruhig geworden, alles schlief in besorgter Erwartung des Morgengrauens. Der Mond stand hoch am Himmel, beinahe über ihren Köpfen.
    In der Tat stand er nun hoch genug. Westlich von ihnen begann soeben ein Tanz des Lichtes auf der Lichtung im Innern des geheiligten Hains, während die dort versammelten Mächte Pendarans zusahen.
    Mit raschen Schritten begab Tabor sich zu den Gehegen, fand sein Pferd und stieg auf. Er hob den Torpfosten an, ritt hinaus und begann in westlicher Richtung davonzugaloppieren.
    Ivor rannte zu seinem eigenen Pferd, sprang auf dessen ungesattelten Rücken und folgte ihm. Allein auf der Ebene strebten Vater und Sohn dem Großen Wald zu, und Ivor, der die aufrechte Haltung und den leichten Ritt seines jüngsten Kindes beobachtete, spürte, wie ihm das Herz schwer wurde.
    Tabor war tatsächlich weit gegangen. Und es hatte den Anschein, als müsse er noch weiter gehen. Der Weber möge ihn beschützen, betete Ivor, den Blick nach Norden auf die nun wieder stille Pracht Rangats gerichtet.
    Mehr als eine Stunde ritten sie dahin, Gespenster auf der nächtlichen Ebene, ehe die überwältigende Gegenwart Pendarans vor ihnen nicht mehr zu übersehen war, dann betete Ivor wieder: Lass ihn nicht hineinreiten. Lass es nicht dort geschehen, denn ich liebe ihn.
    Zählt das denn? fragte er sich, während er sich mühte, die tiefe Furcht zu meistern, die der Wald immer in ihm wachrief.
    Möglicherweise zählte es tatsächlich, denn Tabor brachte fünfzig Meter von den Bäumen entfernt sein Pferd zum Stehen und beobachtete, reglos im Sattel sitzend, den dunklen Wald. Ivor machte ein Stück hinter ihm ebenfalls halt. Er sehnte sich danach, seinen Sohn beim Namen rufen zu können, ihn von dort zurückzurufen, wo er sich auch immer hinbegeben hatte, hinbegab.
    Er verzichtete darauf. Ja, als Tabor, der etwas vor sich hin murmelte, was sein Vater nicht hören konnte, sich vom Pferd gleiten ließ und den Wald betrat, vollbrachte Ivor gar die größte Heldentat seines Lebens, indem er ihm folgte. Kein Ruf irgendeines Gottes konnte Ivor dan Banor zwingen, seinen Sohn in Trance und allein in den Pendaranwald gehen zu lassen.
    Und so geschah es, dass in jener Nacht Vater und beide Söhne den Großen Wald betraten.
    Tabor drang nicht weit vor. Die Bäume standen am Rande des Waldes noch nicht so dicht, und der rote Mond beleuchtete ihren Pfad mit einem merkwürdig angenehmen Licht. Dies alles, dachte Ivor, hat mit der Welt des Tageslichts nichts zu tun. Es war still. Zu still, bemerkte er, denn es wehte eine

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