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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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Zusammenballung, solch einer Verknüpfung von Kräften, welche die Welt von Grund auf verändern könnten, wie gering durfte man da das Wunder nennen, dass Dave an der Seite seiner Freunde inmitten der Frische dieses Morgens am Südrand Pendarans erwachte, dass die wichtigste Straße von der Nordfeste nach Rhoden dort vorbeiführte und dass neben ihm ein Horn lag.
    Ein kleines Wunder im Licht dessen, was am vergangenen Tag und während der vergangenen Nacht die Welt erschüttert hatte, doch wo Leben geschenkt wird anstelle des sicheren Todes, erscheint das denen, die zum Gegenstand solchen Eingreifens werden, niemals unbedeutend oder gar als ungenügender Grund zur Freude.
    So war es auch hier, als die drei sich staunend und freudig erregt erhoben und einander erzählten, was sie erlebt hatten, während über ihnen der Morgengesang der Vögel dahinzwitscherte und trällerte.
    Torc hatte einen grellen Blitz gesehen, mit einer Gestalt dahinter, die er spürte, aber nicht erkennen konnte, und dann war es finster um ihn geworden, bis er hier aufgewacht war. Levon hatte von allen Seiten Musik gehört, kraftvoll und verlockend, einen ungestümen Ruf der Beschwörung, als würde über ihm eine Jagdgesellschaft vorbeiziehen, dann hatte sie sich verändert, so unmerklich, dass er nicht zu sagen vermochte, wie oder wann, doch es war ein Moment gekommen, als sie so furchtbar traurig und einschläfernd wurde, dass ihm die Augen zufielen – und dann war er bei seinen neuen Brüdern im Gras erwacht, im Anblick Brennins, das sich vor ihnen im warmen Sonnenlicht ausbreitete.
    »Heh, ihr beiden!« schrie Dave im Überschwang. »Seht euch das an!« Er hielt das geschnitzte Horn in die Höhe, elfenbeinfarben war es, verziert mit Gold und Silber, und Runen, die auf seiner gesamten Länge eingraviert waren. Befangen im Zustand der Euphorie und der Freude hob er das Horn an die Lippen und blies hinein.
    Dies war eine voreilige, unüberlegte Tat, wenn auch eine, die keinen Schaden anrichtete, denn Ceinwen hatte es ihm absichtlich überlassen, damit er erführe, was sich ihnen allen offenbarte, als dieser schimmernde Klang den Morgen erfüllte.
    Sie war auf Vermutungen angewiesen, denn die Weitergabe dieses Schatzes stand ihr eigentlich nicht zu. Sie sollten in das Horn blasen und seine erste Eigenschaft kennen lernen, dann sollten sie sich von jenem Ort entfernen, wo es so lange gelegen hatte. So hatte es nach ihrem Willen geschehen sollen, doch es ist der Struktur des Gewirks nun einmal eigen, dass nicht einmal eine Göttin genau das erreichen kann, was sie will, und Ceinwen hatte nicht mit Levon dan Ivor gerechnet.
    Der Klang war wie das Licht. Sie wussten Bescheid, alle drei, sobald Dave ins Horn blies. Der Klang war hell und rein und tragend, und Dave begriff, noch während er es von den Lippen nahm, um zu bestaunen, was er da in Händen hielt, dass kein Diener der Finsternis diesen Klang je würde hören können. Tief in seinem Herzen spürte er das, und es war echtes Wissen, denn dies war die erste Eigenschaft des Horns.
    »Kommt«, forderte Torc sie auf, als das goldene Echo verstummte. »Wir sind nach wie vor im Wald. Lasst uns aufbrechen.« Gehorsam wandte Dave sich ab, um sein Pferd zu besteigen, immer noch wie betäubt von dem Klang, den er hervorgebracht hatte.
    »Haltet ein!« gebot Levon. Es gab vielleicht fünf Männer in Fionavar, welche die zweite Fähigkeit jenes Geschenks hätten kennen können, und keinen auf irgendeiner anderen Welt. Doch einer der fünf war Gereint, der Schamane des dritten Stammes der Dalrei, der über eine Menge verloren gegangenes Wissen verfügte und der Lehrer Levon dan Ivors gewesen war.
    Das hatte sie nicht gewusst, und es hatte nicht in ihrer Absicht gelegen, aber nicht einmal eine Göttin kann alles wissen. Sie hatte ein kleines Geschenk machen wollen. Nun kam es anders, und es war kein kleines Geschenk mehr. Einen Augenblick lang waren die Hände des Webers noch mit dem Webstuhl befasst, dann sagte Levon:
    »Hier muss es irgendwo einen gespaltenen Baum geben.« Und bei seinen Worten kehrte ein Faden in das Gewirk der Welten zurück, einer, der sehr lange verloren geglaubt war.
    Es war Torc, der ihn entdeckte. Eine riesengroße Esche, die vom Blitz getroffen worden war – sie konnten nicht erkennen, wie lange das zurücklag –, und nun war ihr Stamm etwa bis in Mannshöhe gespalten.
    Schweigend ging Levon, Dave neben sich, zu der Stelle, wo Torc stand. Dave konnte einen Muskel in seinem

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