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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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nahm einen Schluck von dem Getränk, das Flidais ihm anbot. Worauf er bewusstlos nach vorn auf die Tischplatte sank.
    Flidais betrachtete ihn lange und mit nachdenklichem Blick. Er wirkte bei weitem nicht mehr so freundlich, und ganz gewiss nicht wie ein Irrer. Nach einer Weile machte sich in der Luft bemerkbar, worauf er gewartet hatte.
    »Mäßige dich«, gebot er. »Dies ist eine meiner Wohnstätten, und heute Nacht bist du mir etwas schuldig.«
    »So sei es.« Sie dämpfte ein wenig den Glanz, der aus ihr hervorbrach. »Ist sie geboren?«
    »Gerade eben«, entgegnete er. »Sie werden bald zurückkehren.«
    »Es ist gut«, erklärte sie zufrieden. »Ich bin jetzt hier, und ich war hier bei Lisens Geburt. Wo warst du?« Ihr Lächeln war kapriziös, beunruhigend.
    »Woanders«, gab er zu, als habe sie ihm damit etwas voraus. »Ich war Taliesen. Einmal war ich ein Lachs.«
    »Ich weiß«, bestätigte sie. Ihre Gegenwart erfüllte den Raum, als sei ein Stern in die Unterwelt herabgefallen. Trotz seiner Bitte war es immer noch nicht leicht, ihr ms Gesicht zu sehen. »Das letzte Rätsel«, sagte sie. »Möchtest du die Antwort wissen?«
    Er war uralt und äußerst weise, und er war selbst zur Hälfte ein Gott, doch dies war seiner Seele tiefstes Verlangen. »Göttin«, bat er, während in seinem Innern Hoffnung aufkam, derer er sich nicht erwehren konnte, »ich will sie wissen.«
    »Ich auch«, schleuderte sie ihm grausam entgegen. »Solltest du den Namen finden, mit dem man sie heraufbeschwört, dann vergiß nicht, ihn mir mitzuteilen. Und obendrein«, fuhr Geinwen fort und ließ ein grelles Licht aus ihrem Innern aufwallen, so dass er vor Schmerzen und vor Furcht die Augen schloss, »wage nicht noch einmal in meiner Gegenwart davon zu sprechen, was ich schuldig sei. Ich schulde gar nichts, nur das, was ich versprochen habe, und wenn ich etwas verspreche, dann ist das keine Schuld, sondern ein Geschenk. Vergiß das nie.«
    Er lag vor ihr auf den Knien. Die Helligkeit war überwältigend. »Ich habe ihn empfunden«, sagte Flidais mit einem Zittern in der tiefen Stimme, »den Glanz der Jägerin des Waldes.«
    Das kam einer Entschuldigung gleich; sie fasste es so auf. »Es ist gut«, wiederholte sie und dämpfte ihre Gegenwart, damit er ihr wieder ins Gesicht schauen konnte. »Ich gehe jetzt«, tat sie ihm kund. »Den hier werde ich mitnehmen. Du hast gut daran getan, mich zu rufen, denn ich habe Anspruch auf ihn erhoben.«
    »Warum, Göttin?« fragte Flidais leise und musterte die zusammengesunkene Gestalt Dave Martyniuks.
    Ihr Lächeln war geheimnisvoll und göttlich. »Weil es mir so gefällt«, entgegnete sie. Doch kurz bevor sie mit dem Mann verschwand, sagte Ceinwen noch einmal etwas, so leise, dass es kaum zu vernehmen war. »Höre mich, Bewohner des Waldes: Sollte ich den Namen erfahren, mit dem man den Krieger ruft, werde ich ihn dir nennen. Ich verspreche es.«
    Sprachlos sank er noch einmal in die Knie, auf seinem erdigen Fußboden. Das war, war schon immer, sein Herzenswunsch gewesen, Als er aufblickte, war er allein.
    *
    Sie erwachten alle drei im Morgenlicht auf weichem Rasen. Die Pferde grasten ganz in der Nähe. Sie befanden sich am äußersten Rand des Waldes; südlich von ihnen verlief eine Straße von Osten nach Westen, und dahinter lagen niedrige Hügel. Ein einzelnes Gehöft war jenseits der Straße zu sehen, und über ihren Köpfen sangen die Vögel, als sei dies der jüngste Morgen dieser Welt. Und so war es auch.
    In ganz anderer Hinsicht als der offensichtlichen, nach den verheerenden Umwälzungen der vergangenen Nacht. Kräfte waren auf der Oberfläche Fionavars in Bewegung geraten, in einer Intensität und Dichte wie nicht mehr, seit die Welten gesponnen wurden und der Weber den Göttern ihre Namen verlieh. Selbst lorweth der Begründer hatte diesen Ausbruch Rangats nicht erdulden, nicht diese Hand am Himmel sehen müssen, Conary hatte auch nicht solchen Donner im Mörnirwald erlebt, ganz zu schweigen von dem weißen Nebel, der mit Macht aus dem Sommerbaum hervorgequollen war und den Körper des Opfers durchdrungen hatte. Weder Revor noch Amairgen hatten je so einen Mond zu Gesicht bekommen, wie er in jener Nacht über den Himmel gezogen war, und der Baelrath hatte nie auf diese Weise an einer anderen Hand geleuchtet während seiner langen Geschichte. Und kein Mann außer Ivor dan Banor hatte je Imraith-Nimphais ihren Reiter durch das Glitzern der Sterne tragen gesehen.
    Bei einer solchen

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