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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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und unter den Nachwirkungen seines Adrenalinausstoßes zitternd fuhr Kevin mit heiserer Stimme fort: »Ich meine es ernst, Paul. Als ich dort unten an der Klippe gewartet habe … ich habe nicht geglaubt, dass du es schaffen würdest. Und, Paul, ich war nicht einmal sicher, ob es dir etwas ausgemacht hätte.«
    Sie hatten die Köpfe zusammengesteckt, damit sie einander hören konnte. Schafers Pupillen waren riesengroß. Im Widerschein des Mondlichts war sein Gesicht so bleich, dass es beinahe unmenschlich wirkte.
    »Das stimmt nicht ganz«, erwiderte er endlich.
    »Aber es ist auch nicht ganz falsch. Jedenfalls nicht falsch genug. O Paul, du musst ein bisschen nachgeben. Wenn du schon nicht darüber reden kannst, kannst du nicht wenigstens weinen? Sie ist deine Tränen wert. Kannst du nicht um sie weinen?«
    Worauf Paul Schafer lachte. Der Laut erschütterte Kevin bis ins Innerste, so hemmungslos klang er. »Ich kann nicht«, rief Paul verzweifelt. »Darin liegt ja das Problem, Kev. Ich kann nicht, ich kann wirklich nicht.«
    »Dann wirst du daran zerbrechen«, keuchte Kevin. »Möglicherweise«, antwortete Schafer kaum hörbar. »Ich gebe mir alle Mühe, es zu verhindern, glaub mir. Ich weiß, dass du dich um mich sorgst, Kev. Das bedeutet mir sehr viel. Falls … falls ich beschließe, zu gehen, dann … sage ich Bescheid. Ich verspreche, du wirst es erfahren.«
    »Also, verdammt noch mal! Soll mich das etwa –«
    »Kommt schon!« brüllte Coll vom Ufer her, und Kevin stellte erstaunt fest, dass er schon seit einiger Zeit nach ihnen rief. »Der Ast kann jeden Moment brechen!«
    Also kletterten sie ans Ufer zurück, nur um von den rauen Umarmungen der Männer Diarmuids überrascht zu werden. Coll selbst brach Kevin beinahe den Rücken, so heftig umschlang er ihn.
    Der Prinz trat mit vollkommen ernsthaftem Gesichtsausdruck vor sie hin. »Ihr habt einen Mann gerettet, den ich schätze«, erklärte er. »Ich stehe in euer beider Schuld. Es war leichtfertig und gemein von mir, euch zum Mitkommen aufzufordern. Nun bin ich dankbar, dass ich es tat.«
    »Sehr gut«, sagte Kevin bündig. »Ich schätze das Gefühl überhaupt nicht, wie überflüssiges Gepäck behandelt zu werden. Und jetzt«, fuhr er fort und hob die Stimme, damit alle ihn hören konnten, während er zugleich verdrängte, worauf er keine Antwort wusste und worauf eine Antwort zu verlangen, er nicht das Recht hatte, »wollen wir den Bach hier überqueren. Ich möchte mir endlich die Gärten ansehen.« Und mit straffen Schultern und hoch erhobenem Kopf ging er am Prinzen vorbei und führte sie zu dem über den Fluss gespannter. Seil zurück, und Kummer lag ihm wie ein Stein im Herzen.
    Einer nach dem anderen überquerten sie Hand über Hand den Strom. Und am anderen Ufer, wo in Cathal der Sand an die Klippen stieß, entdeckte Diarmuid, was er ihnen angekündigt hatte: die verwitterten Handgriffe, fünfhundert Jahre zuvor in den Fels gehauen von Alorre, dem Prinzen von Brennin, dem ersten und letzten, der je den Saeren ins Gartenland überquert hatte.
    Geschützt von der Dunkelheit und dem Tosen des Flusses kletterten sie dort hinauf, wo das Gras grün war und sie vorn Duft des Mooses und der Veilchen begrüßt wurden. Es gab nur wenige unaufmerksame Wachen, die leicht zu umgehen waren. Eine Meile vom Fluss entfernt kamen sie an ein Waldstück, wo sie Unterschlupf suchten, als ein leichter Regen zu fallen begann.
     
    Unter ihren Füßen spürte Kimberly das weiche Erdreich, und sie war umgeben vom süßen Duft wilder Blüten. Sie befanden sich im Waldstreifen, der das Nordufer des Sees säumte. Die Blätter der hohen Bäume, die irgendwie von der Dürre unberührt geblieben waren, schützten sie vor der Sonne und verbreiteten eine frische Kühle, die sie auf der Suche nach einer Blume durchschritten.
    Matt war zum Palast zurückgekehrt.
    »Sie wird heute Nacht bei mir bleiben«, hatte die Seherin gesagt. »Am See wird ihr kein Leid geschehen. Du hast ihr den Vellin überlassen, was vielleicht weiser war, als selbst du wissen kannst, Matt Sören. Auch ich verfüge über gewisse Kräfte, und außerdem ist Tyrth hier bei uns.«
    »Tyrth?« fragte der Zwerg. »Mein Diener«, erwiderte Ysanne. »Er wird sie zurückgeleiten, wenn es dafür an der Zeit ist. Vertraue mir und gehe leichten Herzens. Du hast gut getan, sie hierher zu bringen. Wir haben vieles zu besprechen, sie und ich.«
    Also war der Zwerg gegangen. Aber es hatte nur wenig von dem versprochenen

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