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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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übermitteln lassen, Teyrnon. Aber ich habe entschieden, den Rat auf morgen um die gleiche Zeit zu vertagen. Ihr dürft euch allesamt zurückziehen.«
    »Vater –«, hob Diarmuid an, vor Bestürzung stotternd.
    »Keine Widerworte!« gebot Ailell barsch, und seine Augen glühten in seinem knochigen Gesicht. »Noch bin ich Großkönig von Brennin, merkt euch das, ihr alle!«
    »Wir wissen es, geliebter Herr«, ließ sich eine vertraute Stimme von der Tür her vernehmen. »Wir alle wissen das«, fuhr Loren Silbermantel fort, »doch Galadan ist eine bei weitem zu große Macht, dass wir ohne Grund eine Verzögerung hinnehmen dürften.«
    Staubig und von der Reise verschmutzt, die Augen hohl vor Erschöpfung, übersah der Magier die heftige Reaktion auf seine Ankunft und hatte nur Augen für den König. Kevin bemerkte, dass sich im Saal plötzlich Erleichterung verbreitete; er spürte sie in sich selbst. Loren war wieder da. Dadurch änderte sich mancherlei.
    Matt Sören hatte sich erhoben und sich neben den Magier gestellt, und er musterte seinen Freund mit äußerster Besorgnis. Lorens Müdigkeit war augenfällig, aber er schien seine Kräfte zu sammeln und wandte sich unter allen Anwesenden ausgerechnet Kevin zu.
    »Es tut mir leid«, sagte er einfach. »Es tut mir sehr leid.«
    Kevin nickte krampfhaft. »Ich weiß«, flüsterte er. Das war alles; sie drehten sich beide nach dem König um.
    »Seit wann braucht der Großkönig Erklärungen abzugeben?« begehrte Ailell auf, doch jenes kurze Pochen auf seine vorrangige Stellung schien ihn erschöpft zu haben; sein Tonfall war mürrisch, nicht befehlend.
    »Er muss nicht, Herr. Aber wenn er es tut, führt das gelegentlich dazu, dass seine Untertanen und Ratgeber ihm eine bessere Hilfe sind.« Der Magier war mehrere Schritte weit in den Saal getreten.
    »Gelegentlich«, erwiderte der König. »Aber zu anderen Zeiten gibt es Dinge, die sie nicht wissen müssen und auch nicht wissen sollen.« Kevin sah Gorlaes auf seinem Stuhl hin und her rücken. Er versuchte sein Glück.
    »Aber der Kanzler weiß davon, Hoheit. Sollten es nicht auch eure übrigen Ratgeber erfahren? Verzeiht meine Vermessenheit, aber eine Frau, die ich liebe, ist verschwunden, Großkönig.«
    Ailell betrachtete ihn lange Zeit, ohne etwas zu sagen. Dann nickte er kaum merklich. »Gut gesprochen«, anerkannte er. »In der Tat bist du der einzige unter den Anwesenden, der wahrhaft das Recht hat, es zu erfahren, doch ich will tun, worum du gebeten hast.«
    »Hoheit!« drängte Gorlaes.
    Ailell hob die Hand und brachte ihn zum Verstummen. In der nun folgenden Stille erklang fernes Donnergrollen. »Könnt ihr es denn nicht hören?« raunte der Großkönig mit wachsender Erregung. »Horcht! Der Gott kommt näher. Falls das Opfer durchhält, kommt er heute Nacht. Dies wird die dritte Nacht sein. Wie können wir handeln, ehe wir Bescheid wissen?«
    Nun war jedermann aufgesprungen. »Es befindet sich jemand am Baum«, teilte ihnen Loren mit tonloser Stimme mit.
    Der König nickte.
    »Mein Bruder?« fragte Diarmuid mit aschfahlem Gesicht. »Nein«, erwiderte Ailell und wandte sich Kevin zu. Es dauerte einen Augenblick, dann war alles klar. »O Gott«, rief Kevin. »Es ist Paul!« Und er vergrub das Gesicht in den Händen.
    *
    Kimberly erwachte erfüllt von Wissen.
    Der ohne Liebe Leben nimmt, dem ist der Tod gewiss, hatte vor langer Zeit Seithr, der Zwergenkönig, zu Colan, dem Vielgeliebten, gesagt. Und dann hatte er mit gesenkter Stimme hinzugefügt, so dass nur der Sohn Conarys es hören konnte:
    »Und der in Liebe stirbt, mag seine Seele dem zum Geschenk machen, der mit dem Symbol auf dem Griff des Dolches gezeichnet ist.«
    »Ein großzügiges Geschenk«, hatte Colan geflüstert. »Großzügiger als Ihr Euch denken könnt. Einmal verschenkt, ist die Seele dahin. Sie geht der Zeit verloren. Es gibt für sie keinen Übergang hinter die Mauern der Nacht, um an der Seite des Webers zum Licht zu finden.«
    Conarys Sohn hatte sich tief verneigt. »Ich danke dir«, hatte er gesagt. »Zweischneidig die Klinge und zweischneidig das Geschenk. Mörnir gewähre uns die Einsicht, recht damit umzugehen.«
     
    Noch ehe sie hinsah, wusste Kim, dass ihr Haar weiß war. Wie sie so an jenem ersten Morgen in ihrem Bett lag, weinte sie, wenn auch still und nicht sehr lange. Es gab viel zu tun. Selbst mit dem Vellin an ihrem Handgelenk empfand sie den Tag wie ein Fieber. Sie wäre des Geschenks nicht würdig gewesen, hätte sie sich

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