Silbermuschel
leid.
»Beruhige dich«, sagte ich. »Komm, wir wollen über alles sprechen.«
»Ich brauche meine Freiheit!«
»Hast du sie denn nicht?«
»Nein. Mir wird alles zuviel.«
»Auch ich?« flüsterte ich.
Er nickte, immer noch mit diesem harten Zug um den Mund.
»Ein Mann mit beschränkter Haftung«, hatte Paul damals von sich selbst gesagt. Ich murmelte die Worte mit einer Spur von Ironie. Paul verzog keine Miene.
»Nenne es, wie du willst.«
Ich kam mir plötzlich lächerlich und sentimental vor.
»Liebst du mich denn nicht ein wenig?«
»Schau«, sagte er, »ich habe schon viele verpfuschte Ehen gesehen. Es ist immer dasselbe. Wenn es mit ihren Männern nicht mehr klappt, suchen sich die Frauen einen, der besser zu ihnen paßt. Aber ich glaube, auch ich bin nicht der Richtige für dich. Ich kann mich nicht die ganze Zeit mit dir beschäftigen und deine Psychowunden pflegen. Ich habe nicht genug Beschützerinstinkt. Warst du eigentlich schon mal richtig verliebt?«
Ich stammelte:
»Ja. In dich.«
»Für eine erwachsene Frau bist du unglaublich naiv. Das ist es ja, was mir Angst macht. Wenn zwei Leute sich gut im Bett verstehen, will das noch lange nicht heißen, daß sie füreinander gemacht sind. Es könnte sogar sein, daß sie unter Umständen nicht von ein und derselben Sache sprechen. Für dich ist die Liebe das Wichtigste auf Erden, eine heilige Angelegenheit. Du willst, daß ich mich Tag und Nacht an dich gefesselt fühle. Das ist doch pubertär. Ich bin eigentlich nur gut im Bett, wenn ich nicht zuviel Gefühle investiere. Ich mag dich; ich schlafe gern mit dir. Aber du verlangst zuviel. Du schnürst mir die Luft ab.«
»Auf einmal?« fragte ich. Mein Mund war trocken. Ich konnte kaum sprechen.
»Ich kann nicht alle meine Pläne über den Haufen werfen«, sagte er, »nur weil ich weiß, daß du dasitzt und wartest.«
Ich drehte das Gesicht zur Seite. Mir tat alles weh; der Kopf, die Brust, der Bauch, jeder Nerv und jeder Muskel. Pauls Stimme drang wie durch eine Watteschicht an mein Gehör.
»Ach, Julie, es tut mir ja leid! Ich mag dich doch. Aber wenn du dich so 33
anklammerst…«
Ich weinte. Er drehte mich behutsam herum, küßte mir die Stirn, die Augen, den Mund. Ich warf die Arme um seinen Hals, flüsterte verstörte Worte an seinen Lippen. Ich sagte, daß ich tot sei, lange Zeit tot, daß ich Zeit brauchte, um wieder lebendig zu werden. Daß ich mich ohne ihn wie ein Kind fühlte, geängstigt und voller Schatten. Ich flehte um Nachsicht, um Geduld, um Liebe. Er drückte mich an sich, sagte, sei ruhig, ich bin ja noch hier, ich werde dich schon nicht von heute auf morgen im Stich lassen. Und dann entkleidete er mich, behutsam, wie ich es gern hatte, zog sich ebenfalls aus und kroch zu mir unter die Decke. Er erregte mich mühelos mit Lippen und Händen, schob mein Höschen beiseite, drang in mich ein. Er streichelte mich, bewegte sich ganz langsam in mir. Er sagte, nun weine doch nicht, schau mal, wir haben es doch schön. Ich wand mich unter ihm, die Augen fest geschlossen. Ich kostete unser Zusammensein aus, entsann mich kaum noch an das, was er gesagt hatte, schob es weit weg. Wärme stieg in mir auf.
Alle Muskeln lockerten sich, meine Glieder wurden weich, träge, wie mit Öl eingerieben. Gedanken und Gefühle lösten sich auf. Noch während ich unter ihm lag, den Bewegungen seines Körpers folgend, glitt ich in den Schlaf wie in dunkle, tiefe Gewässer.
Das war im Januar; seitdem hatten wir nicht mehr darüber gesprochen. Bis auf heute nachmittag. Noch jetzt hörte ich seine Stimme im Ohr, ganz anders als sonst, hart und rücksichtslos:
»Julie, ich habe gekündigt. Zu Ende Mai. Es ging nicht mehr. Ich mußte eine Entscheidung treffen.« Jedes Wort war eine Ohrfeige gewesen, als ob er mich haßte.
Er hatte Angst vor mir, vor der Ausschließlichkeit meiner Gefühle. Er wollte keine Verpflichtungen eingehen, keine Verantwortung übernehmen. Das sagte er mir klipp und klar, und ich mußte mich damit abfinden.
Den ganzen Vormittag über hatte es geregnet. Kein Lüftchen wehte, alle Boote lagen im Hafen. Stundenlang hatten wir vergeblich auf Wind gehofft. Nun saß Paul neben mir auf der Koje, trank seinen Whisky mit nur ganz wenig Wasser in einem Zug aus, wütend und von schlechtem Gewissen geplagt.
»Ich habe den Entschluß von einem Tag zum anderen hinausgeschoben. Aber plötzlich mußte ich es tun. Gestern abend habe ich das Schreiben verfaßt. In Lausanne war noch ein
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