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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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taugte und nicht nur so läppisch in den Tag hinein lebte.
    Es war schön, Sehnsucht nach Paul zu haben, sich auf ein gemeinsames Wochenende zu freuen. Manchmal begleitete er mich ins Theater oder Konzert, wobei ich recht bald herausfand, daß ihn die sogenannte Kulturszene kalt ließ.
    Auch Diskussionen langweilten ihn; er sprach nur das Nötigste, lächelte freundlich und war im Geist meilenweit entfernt.
    Ich wunderte mich über seine genügsame Lebensweise. Seine Zweizimmerwohnung war geradezu spartanisch eingerichtet, sein Eisschrank fast immer leer, doch ein gutes Essen in einem feinen Restaurant wußte er zu schätzen.
    Auf seine äußere Erscheinung legte er ebensowenig Wert. Seine alte Lederjacke war von Sonne und Wind gegerbt, seine Baumwollhemden und Cordhosen vom vielen Waschen zu einer völlig neutralen Farbe ausgebleicht. Er hatte etwas Unnahbares, fast Körperloses an sich. Oft, wenn ich ihm zusah, wie er auf dem Boot mit spielerischer Leichtigkeit die Segel hißte und befestigte, kam er mir mit seiner hellbraunen Haut und dem sonnengebleichten Haar wie ein großer, silberheller Vogel vor, der seinen Schatten über das weiße Schiff warf. Das waren 31
    die Augenblicke, wo ich ihn am meisten liebte.
    Ihm verdankte ich, daß ich meinen Körper wiederentdeckt, mich mit ihm versöhnt hatte. Unter Pauls harten Flanken lag ich sanft und locker, mit geschmeidigem Leib; meine Augen folgten den Bewegungen seiner Hände, wie Kinderaugen es tun. Ich erwachte unter seinen Liebkosungen, vergaß die Traurigkeit, die immer schon zu mir gehört hatte, sprach endlich zu mir selbst, zu dieser Unbekannten. Doch gab es Dinge, die mich erschauern ließen. Paul fragte, was ich denn hätte, das sei doch alles ganz normal. Ich sagte zu ihm, ich wüßte es nicht, es sei einfach so. Der bloße Gedanke sei mir ekelhaft und unerträglich. Paul bestand nicht weiter darauf; er nahm die Sache auf die leichte Schulter.
    Im Herbst fuhr Paul mit Bruno und dem Chefredakteur des Globus-Verlages zur Frankfurter Buchmesse. Nach seiner Rückkehr hatte er viel zu tun. Ich beschäftigte mich auf meine Art: eine Ausstellung hier, ein Konzert dort. Die Wintersaison war angenehm langweilig, die Tage mit belanglosen Einzelheiten ausgefüllt. Wie gewohnt verbrachten Paul und ich die Wochenenden auf der
    »Stella«. In der kalten Jahreszeit waren wir fast die einzigen Segler. In meine Lammfelljacke gehüllt, die Mütze tief über die Ohren gezogen, trotzte ich dem beißenden Wind. Oft flüchtete ich in die Kajüte, um mich mit heißem Kaffee oder einem tüchtigen Schuß Gin wieder etwas aufzuwärmen.
    Damals begann Paul mir von seinem Projekt zu erzählen. Er sagte, daß er Geld auf die Seite gelegt habe, genug, um zu kündigen. Daß er beabsichtige, mit der
    »Stella« für ein oder zwei Jahre den Atlantik zu befahren, an der afrikanischen Westküste entlang bis zu den Kapverdischen Inseln. Ich lachte, obwohl eine innere Stimme mich warnte.
    »Spinnst du? So einen guten job findest du kein zweites Mal!«
    Ich machte einen Fehler, ich nahm ihn nicht ernst. Bald verging kaum ein Tag, ohne daß er nicht davon sprach. Ich hatte allmählich die Nase voll. Kündigen. Das Land verlassen. Auf große Fahrt gehen. Blödsinn!
    »Du machst dich lächerlich«, sagte ich an jenem Abend zu ihm und hob irritiert meinen Kopf aus der Beuge seines Armes. »Warum redest du immer nur davon, nach Boavista zu segeln? Wie alt bist du eigentlich?«
    »Wenn ich ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel habe«, sagte Paul, »ist es zu spät. Dann bin ich viel zu bequem geworden. Ich muß bald eine Entscheidung treffen.«
    Der Wind zerrte in der Takelage, die Wellen schlugen hart und fest an das verankerte Boot. Paul war auf seinem Schiff mehr zu Hause als in seiner Wohnung, wo wir uns nur selten aufhielten.
    »Ich will nicht mein ganzes Leben in einer Schweizer Kleinstadt vertrödeln!
    Dieses Dahinvegetieren macht mich kaputt. Das ist nun mal so. Ich habe immer gedacht, du wärst eine, die das versteht.«
    Ich betrachtete ihn im Licht des schwindenden Tages. Erst jetzt merkte ich, wie 32
    er sich verändert hatte. Seine Züge wirkten eingefallen, und unter seinen Augen lagen graue Schatten. Er hatte zum erstenmal das Gesicht, das zu seinem wirklichen Alter paßte. Allmählich begann ich mich vor diesem Gespräch zu fürchten. Aber ich wollte ihm keine Szene machen. Er versuchte, ein Verlangen, eine Sehnsucht in Worte zu fassen. Er war aufgeregt und unglücklich. Er tat mir

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