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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Postschalter offen. Bruno wird den Brief morgen vorfinden. Ich hoffe, daß du mir nicht böse bist«, setzte er jämmerlich hinzu.
    Ich war zu überrumpelt, um klar zu denken; mir fiel kein einziger Widerspruch, ja, nicht einmal ein Vorwurf ein. Ich steckte die Nase in den Becher, roch am Whisky und nahm einen Schluck.
    »Nein, ich bin dir nicht böse. Aber ich verstehe dich nicht.« Er lachte hart und bitter auf.
    »So, du verstehst mich nicht?« Seine Augen funkelten trotzig. »Ich sagte dir 34
    doch, daß ich es tun würde. Und ich sagte dir auch, warum. Nicht nur einmal.
    Mehrmals. Du wolltest es mir ja nicht glauben.«
    Was sollte ich darauf antworten? Er sagte ja die Wahrheit.
    »Trink doch noch was«, sagte Paul. Ich schüttelte den Kopf, doch er nahm meinen Becher und füllte ihn.
    Ich setzte den Becher an die Lippen. Warum trank ich jetzt Whisky? Ich hatte Whisky nie gemocht. Ich sah zu dem kleinen Bullauge hinaus und bemerkte plötzlich, daß Nebel aufkam.
    »Verzeih mir, Julie«, hörte ich Paul sagen. »Es ist schwierig, glaube mir, auch für mich. Aber ich kann mit einer Frau, die in Gefühlsdingen zwölf Jahre alt ist, momentan nichts anfangen. Vielleicht später, wenn ich mich ausgelebt habe. Ein neuer Anfang, warum nicht? Lassen wir doch alles offen…«
    In mir war eine seltsame weiße Leere, als ob die Nebel von draußen sich auch in meinem Denken ausbreiteten. Pauls Finger kraulten mein Haar.
    »Sag doch etwas!«
    »Ich bin zu müde«, flüsterte ich.
    »Dann schlaf eine Weile!« erwiderte er gereizt. »Das tust du ja bei jeder Gelegenheit. Bruno hat schon recht; du solltest deswegen wirklich mal zum Arzt gehen.«
    Er machte mir Platz auf der Koje. Ich ließ meine Segelschuhe von den Füßen gleiten, streckte mich aus. Er deckte mich mit der bunten Steppdecke zu. Ich schloß die Augen. Bevor ich einschlief, hörte ich, wie Paul sich an den Tisch setzte, die Zeitung aufschlug. Draußen kreischten die Möwen.
    Als ich erwachte, war die Wirkung des Whiskys verflogen. Ein schaler Geschmack lag mir auf der Zunge, ich hatte das Bedürfnis, mir die Zähne zu putzen. In der Kabine brannte Licht. Paul hatte die Zeitung vor sich auf dem Tisch ausgebreitet und sah zu mir hinüber.
    »1st dir jetzt besser?«
    »Wie spät ist es?«
    »Beinahe halb sechs.«
    Ich setzte mich hoch. Er trat an die Koje, fuhr mit der Hand in meinen Rollkragen, streichelte meinen nackten Rücken.
    »Bleib noch ein wenig.«
    »Nein, ich muß gehen.«
    Ich schwenkte die Beine herum, tastete mit den Füßen nach meinen Segelschuhen. Paul schob die Hände in die Hosentaschen.
    »Ich bin froh, daß wir es hinter uns haben. Ich hatte Angst, du würdest mir eine Szene machen.«
    Ich schlüpfte in meine Windjacke, zog mein Haar aus dem Kragen heraus.
    Mein ganzer Körper war steif und schmerzte. Aufrecht zu stehen verursachte mir Bauchweh.
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    »Warte, ich bring’ dich zum Wagen«, sagte Paul.
    Ich zog den Reißverschluß zu, nahm meine Mütze vom Haken.
    »Nicht nötig.«
    Ich wandte mich ab, schleppte mich die Treppe empor. Die Schmerzen in meinem Bauch ließen mich fast zusammenknicken.
    »Gib acht, daß du nicht fällst!« rief Paul mir nach.
    Ich stieg aus der Kajüte, schloß die Tür hinter mir und setzte die Füße vorsichtig auf das Deck. Der Regen hatte nachgelassen. Über dem See war alles in Nebel gehüllt. Der Abend wollte gerade erst beginnen, doch am Himmel funkelten ein paar klare Sterne. Ich kletterte über die Reling und stieg auf die Mole. Beim Gehen preßte ich beide Hände gegen meinen Bauch. Auch mein Kopf tat mir weh, und meine Augen waren trocken und brannten. Ich hätte keinen Whisky trinken sollen. Das Zeug war mir nie gut bekommen.
    Die Leute vom Segelklub hatten ihren eigenen Parkplatz. Mein kleiner Golf stand neben Pauls Wagen. Ich zog meinen Schlüsselbund hervor, setzte mich ans Steuer und startete den Motor. Die Straße schlängelte sich in vielen Kurven durch Montreux. Ich gab Gas, scherte mich einen Dreck um die Geschwindigkeitsbegrenzungen. Die Straße, die Häuser, die dunklen Hänge sausten wie ein zu schnell abgespulter Film an mir vorbei. Ich fuhr um eine Kurve, dann um noch eine. Die Bremsen quietschten. Ich kämpfte gegen die Wut an, versuchte nicht mehr daran zu denken, was Paul mir angetan hatte. Ich mußte mich damit abfinden, daß die Augen das Gegenteil von dem sagen können, was die Lippen sagen. Daß jeder Mensch sein eigenes Leben lebt, mit dem die anderen nichts zu tun haben, nicht einmal

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