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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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wie man ein Schiff steuert.«
    So fing es an. Und es dauerte über ein Jahr. Jedes Wochenende verbrachten wir gemeinsam, meistens auf dem See. Paul war ein glänzender Segler. Er machte auch im Winter klar, wenn der Wind heulte, die Wellen schäumten und kein anderes Segelboot auf der schiefergrauen, aufgewühlten Fläche kreuzte. So sehr ich den Menschen mißtraute, so wenig fürchtete ich mich vor den entfesselten Elementen.
    Je mehr sich die Segel hart am Wind spannten, die Takelage zitterte und die
    »Stella« schlingerte, um so stärker erwachten meine Kräfte. Ich genoß es, mit dem Wind zu kämpfen, das Stoßen und Rollen des Schiffes im ganzen Körper zu spüren.
    In der Öffentlichkeit gab Paul sich ungeniert, grüßte unbefangen gemeinsame Bekannte. Er stellte die Leute vor vollendete Tatsachen und lächelte belustigt, wenn sie kühl zurückgrüßten oder den Kopf schnell auf die andere Seite drehten, als ob sie uns nicht gesehen hätten.
    »Warte nur ab«, meinte er. »Sie werden sich schon daran gewöhnen.«
    Und so war es auch. Nach einigen Monaten legten sich die Gerüchte. Unser Verhältnis wurde schweigend toleriert, mit der mißbilligenden Duldsamkeit der Schweizer Kleinbürger. Bruno indessen stolzierte herum mit ziemlicher Würde, vorgewölbtem Brustkorb und zurückgeworfenem Kopf. Selbstgefällig schlüpfte er in die Rolle des durchaus klarsehenden, aber verständnisvollen Partners. Wenn ich ihm schon die Hörner aufsetzte, spielte er lieber den Großzügigen als den schäumenden Berserker, wohl wissend, daß man ihn bemitleidete. Sein gesellschaftliches Ansehen kam nicht zu Schaden. Nur ich, die »rothaarige französische Schlampe«, zog den kürzeren.
    Von meinem Zusammenleben mit Bruno hatte ich Paul nur wenig erzählt. Ich hatte den Eindruck, daß es ihn nicht besonders interessierte. Ich verschwieg ihm auch, daß Bruno mich manchmal schlug. Nie sehr heftig, denn er war im Grunde kein brutaler Mensch. Er machte es anders, subtiler: Er zog mich an den Haaren, gerade wenn ich am Einschlafen war, ohrfeigte mich wie zum Spaß, aber so, daß es schmerzte, oder kniff mir blaue Flecken in den Arm.
    »Was? Ich tu’ dir weh? Meine liebe Julie, du bist überempfindlich. Ich kann dich doch nicht immer mit Glacehandschuhen anfassen! «
    Richtig zugeschlagen hatte er nur einmal, als er erfuhr, daß ich mit Paul schlief.
    Jemand hatte über uns geklatscht. An diesem Abend kam er betrunken nach Hause.
    Mit betont ruhiger Stimme unterzog er mich einem Verhör. Ich stritt nichts ab. Als er mir ins Gesicht schlug, war ich so verblüfft, daß ich dem Schlag nicht auswich.
    Ich starrte ihn an, steif vor Entsetzen. Er starrte zurück, mit offenem Mund, selber 30
    erschrocken. Und dann begann er zu brüllen:
    »Du bist eine Hure! Jede andere Frau würde sich um unsere Ehe sorgen. Aber du willst mich als Mann zugrunde richten, mich impotent machen, um es mit einem charakterlosen Schwächling in aller Öffentlichkeit zu treiben! Und was wird aus mir? Aus meinem Ruf? Was sollen nur die Leute denken?«
    Er brüllte noch eine ganze Weile, als habe seine Wut sich an seinen Worten erst richtig entfacht. Ich rührte mich nicht von der Stelle. Was er sagte, klang in mir wie in einer Halle voller Echos, ergab jedoch keinen Sinn. Schließlich erhob ich mich, wankte an ihm vorbei. Wie in Trance ging ich in mein Arbeitszimmer. Dort stand eine alte Couch. Ich schob mir ein Kissen unter den Kopf, wickelte mich in eine Decke und schlief sofort ein.
    Ungefähr in dieser Zeit trafen wir unsere Abmachung, daß er mir die Wohnung im Erdgeschoß überlassen würde, während er selbst sich im ersten Stock einquartierte. Daß er andere Frauen mit nach Hause nahm, wußte inzwischen jeder.
    Er bestand jedoch darauf, daß ich bei offiziellen Anlässen an seiner Seite erschien.
    Ein Schachzug, der gut ankam: Die Leute bewunderten seine Geduld und verdammten meine Liederlichkeit. Ich machte die Maskerade mit, weil sie zu unserer Abmachung gehörte.
    Paul war zu solchen Anlässen selbstverständlich nie eingeladen. Als ich ihn einmal fragte, ob ihn das nicht kränke, sagte er kalt: »Ich bin kein dressierter Affe!«
    Inzwischen arbeitete ich weiterhin für den »Waadtländer Boten«; daß Bruno im Verwaltungsrat saß, ließ sich nicht ändern. Ich berichtete über Ausstellungen, Gastspiele und Konzerte. Meine schwarzweißen Künstlerportraits wurden im Theaterfoyer ausgestellt. Ich kam unter die Leute und hatte das Gefühl, daß ich zu etwas

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