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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mich hypnotisiert von der Asphaltstraße, die unter uns hinwegglitt, während der Schatten des Motorrads wie ein Vogel an unserer Seite huschte. Ken schien die Strecke vertraut; er fuhr in gleichmäßigem Tempo, nicht zu langsam, nicht zu schnell.
    Irgendwann tauchte eine Raststätte auf; Ken bog von der Straße ab und hielt an.
    Wir nahmen unsere Sturzhelme ab, ließen sie auf dem Motorrad liegen, ohne Angst, daß sie uns gestohlen wurden. Ken schüttelte sein Haar, machte einige Bewegungen, um seine Muskeln zu lockern, und nahm meine Hand.
    »Wie war’s mit einem Kaffee?«
    Wir holten Kaffee und Sandwiches an der Selbstbedienungstheke und setzten uns draußen auf eine Holzbank. Unweit von uns saßen einige Lastwagenfahrer; derbe, braungebrannte Männer, die sich Reis, Eierkuchen und getrockneten Fisch aus den üblichen kleinen Holzschachteln in den Mund stopften und Tee dazu 305
    schlürften. Ich betrachtete sie amüsiert. Alle gestikulierten und redeten laut durcheinander, von der sprichwörtlichen asiatischen Gelassenheit weit entfernt.
    Endlich gingen sie; die Wagentüren knallten zu, die Motoren heulten auf, Gaswolken fegten über den Platz. Dann verstummte der Lärm. Alles wurde friedlich und still. Ich räkelte mich, dehnte die Arme, lehnte mich entspannt und glücklich auf der Bank zurück. Plötzlich hob ich den Kopf: Eine große Libelle schwirrte um uns herum, wie ein grünlicher Blitz im Sonnenlicht.
    »Tombo!« Ken nannte den japanischen Namen des Insekts. Er streckte den Arm aus, hielt ihr den Finger hin. Die Libelle kreiste immer näher und ließ sich plötzlich auf seinem Finger nieder. Ich hielt den Atem an. Ken warf mir einen lachenden Blick zu, zog behutsam den Arm an, so daß wir den bebenden Körper der Libelle, die schillernden Netzaugen aus nächster Nähe betrachten konnten.
    »Wie kommt es nur, daß sie so zahm ist?« fragte ich.
    »Sie mag uns offenbar.«
    Nach einer Weile hob sich die Libelle in die Luft, schoß im flirrenden Sonnenlicht davon. Wir folgten ihr mit den Augen, während wir unsere Sandwiches aus dem Papier wickelten.
    »Ich wußte nicht«, sagte ich, »daß es in Japan so viele unbewohnte Gebiete gibt.«
    Ken nickte.
    »Der Großteil des Archipels besteht aus Gebirge. Richtig bewohnt sind eigentlich nur das Flachland und die Küsten. Deswegen mußten wir lernen, auf engem Raum zu leben, ohne uns gegenseitig auf die Füße zu treten. Und wo es geht, wird Reis angebaut. Wer den Reis mißachtet, wird blind, sagt ein altes Sprichwort. Reis ist unsere Grundnahrung und gilt als ›Auge der Sonnengöttin‹.
    Wir brauchen ihn für die Herstellung von Gebäck und Essig, die Kleie dient als Marinade für Gemüse, das Stroh zur Anfertigung von Seilen, Matten und Säcken.
    Nicht zu vergessen die ethische Bedeutung: Die ausgereiften Ähren neigen sich in jener Haltung mustergültiger Bescheidenheit, an der mir nie viel gelegen war.«
    Er grinste und biß in sein Sandwich.
    »Warum weiß man so wenig davon?« fragte ich.
    »Warum? Nun, ich nehme an, daß wir es als Zeitverschwendung ansehen, die ehrenwerten Vertreter der Auslandspresse genauer darüber zu informieren. Und außerdem, wozu die Vieldeutigkeit auf etwas Eindeutiges einengen? Es stimmt schon, daß einige Aspekte unserer Lebensweise zu Fehlinterpretationen verführen.
    Schenken japanische Frauen den Männern Reiswein ein oder zünden ihnen die Zigarette an, runzelt Frau Meier aus Berlin bekümmert die Stirn. Sie weiß nicht, daß bei uns der Reiswein als Essenz der Lebenskraft gilt und seine Herstellung einst den Frauen vorbehalten war. Im Kaiserpalast und in den großen Schreinen standen die Sakefässer in der Obhut der Priesterinnen. Noch heute ist es stets eine Priesterin, die den Neuvermählten vor dem Shinto-Altar den rituellen Trunk reicht.
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    Von Frauenhänden eingeschenkt, wird der Sake ein Quell der Stärkung und des Glücks. Mit dem Feuer verhält es sich ähnlich. Das Feuer ist ein göttliches Element, eng mit der Zeugungskraft verbunden. Die Priesterinnen hüteten das Feuer, wie die Vestalinnen im alten Rom. Mit dem Unterschied, daß sie niemand zur Keuschheit verpflichtete. Keuschheit ist ein patriarchalisches Anliegen.«
    Er zwinkerte mir zu; ich lächelte, und er fuhr fort:
    »Feuer geben und Sake einschenken haben also nichts mit einer Unterbewertung der Frau zu tun. Im Gegenteil, es sind Gesten des Segnens.
    Selbstverständlich sind sich nur wenige Frauen darüber im klaren, aber was macht das schon? Die

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