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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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dafür, daß es seiner wirklichen Bestimmung entsprechend geweiht wurde. Seine Schwerter waren wundervolle Kunstwerke.
    Und er schnitzte seinen Namen fast nie in den Schwertgriff, obgleich dies unter den Schmieden Brauch war, in dem selbstlosen Bestreben, das Werk nicht zu entheiligen.«
    Er verstummte. Als ich aufsah, merkte ich, wie sein Blick über die Hügel des Tales wanderte, die sich ins Grenzenlose dahinzogen. Die Bäume hoben sich hoch aufragend oder geneigt gegen das Licht. Der Himmel, über den Wipfeln, war blau wie Türkis.
    »Wie schön das klingt«, sagte ich.
    »Vielleicht habe ich zuviel geredet. Wenn du bei mir bist, kann ich nicht immer klar denken. Deine Haut ist so zart«, sagte Ken leise.
    »Ich glaube, ich habe mir einen Sonnenbrand geholt.«
    Seine Finger wanderten meinen Arm hoch. Ich drehte mein Gesicht zu ihm hin.
    Er drückte seine Lippen an meine Wange, küßte dann zart meinen Mund. Wir umarmten einander, schweigend und aufgewühlt, eine ganze Weile lang.
    Plötzlich wurden Stimmen laut. Einige Leute keuchten die Stufen hinauf, wobei sie oft stehen blieben und mit vorgeneigtem Oberkörper nach Atem rangen. Wir kehrten in die Wirklichkeit zurück, sahen einander an und taumelten auf unsere Füße. Stumm, Hand in Hand, stiegen wir die mit Moos bewachsenen Steinstufen hinunter ins Tal. Auf den geschwungenen Ziegeldächern spiegelte sich das Sonnenlicht; wenn ein Windstoß das Unterholz bewegte, funkelten Goldschnitzereien durch das Laub. Unten vor dem Portal blieben wir stehen, erhitzt und mit fliegendem Atem. Ken fragte:
    »Wollen wir ein Eis essen? Und dann fahren wir weiter zum Chû-zenji-See.«
    Kurz nach Nikko wendete sich die Straße ostwärts. Wir fuhren an der Tamozawa-Villa, der ehemaligen kaiserlichen Residenz, vorbei und an dichten Bambus- und Kiefernwäldern. Die Königskrähen saßen auf den Bäumen, flatterten durch die Luft wie schwarze, wehende Tücher. Während auf den kleinsten Flächen Obst- und Gemüsegärten angelegt waren und das frische Laub noch in hellen Frühlingsfarben leuchtete, spannten Nadelbäume ihr dunkelgrünes Schattendach über die Straße. Es war nicht viel Verkehr, und wir kamen schnell voran. Bald waren wir von einem Meer von steigenden und fallenden Kämmen umgeben, alle dicht mit Bäumen bewachsen, zwischen denen sich die Straße, ständig steigend, in Schleifen und Kurven hindurchschlängelte. Am violettblauen Himmel erhob sich der gewaltige Kegel des Nantai-Berges, in Dunst getaucht. Die Sonne schoß Pfeile über den Asphalt, der wie Glasbelag flimmerte. Soweit das Auge reichte, leuchteten die Hügel in verschiedenen Schattierungen, von weichem Wassergrün bis zum tiefdunklen Smaragd. Wir überholten einen Bus, der in einer Wolke Auspuffgasen den Hang hinaufkroch, und sahen den Chû-zenji-See, eine Fläche 315
    von unvergleichlichem Kobaltblau. Geradeaus vor uns, an der Bergflanke, brauste der Kegon-Wasserfall hundert Meter in die Tiefe und wirbelte neblige Schleier durch das Grün. Eine Seilbahn fuhr zu dem berühmtesten Aussichtspunkt, und ein Aufzug führte, den Wasserfall entlang, den Fels hinunter. Familien belagerten größere Strecken des Seeufers. Auf der Straße rund um den See wanderten Fußgänger, Schwärme von Radfahrern fuhren klingelnd vorbei. Man konnte Tret-und Ruderboote mieten. Ein kleiner Dampfer, mit Touristen beladen, tuckerte auf die Anlegestelle zu. Kurz vor einer Kreuzung bog Ken in einen Waldweg am Seeufer ein. Er schien die Gegend gut zu kennen. Zwischen den Bäumen leuchtete das Wasser in allen Tönungen des Blaus und Grüns und in Lila. Mineralische Beimischungen mußten dem See diese erstaunlich kräftigen Farbschattierungen geben. Bald war der gegenüberliegende Uferrand nur noch als schmaler Streifen sichtbar, und dahinter erhoben sich die Hügel wie eine grüne Wolkenwand. Der Weg wurde enger und mündete schließlich in einen Pfad. Ken fuhr etwas seitwärts und hielt vor einem Gebüsch. Als er den Stützfuß senkte und den Motor abstellte, schlug uns die Stille von einer Sekunde zur anderen entgegen. Wir nahmen unsere Helme ab und schüttelten unser Haar. Es wurde kühler; ich behielt Kens Lederjacke an, die ich über mein T-Shirt gezogen hatte. Die Luft roch nach Wasser, nach feuchter Erde, nach Harz. Unter den Bäumen waren Schatten, aber am Ufer schillerte grüngolden die Sonne. Eine leichte Brise kräuselte die Wasserfläche. Ken reichte mir die Hand. Wir stiegen die Böschung hinunter bis an den See. Mücken

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