Silbermuschel
wie die Funken zum Holzscheit. Außerdem war sie keine Frau, der man nur mit halber Zuwendung Genüge tat. Zu ihrer Lebensanschauung gehörte, daß der Körper uns so viel Schmerz bringt, daß er uns dafür auch ein großes Maß an Lust schuldet, und diese nahm sie sich, wo es sich traf. Wild und weich war sie in meinen Armen. Sie hatte jene Sinnlichkeit an sich, die einen Mann toll macht, weil er sich gern einbildet, daß er der einzige ist, der sie erwecken kann. Antonia verstand es, das richtige Ich aus mir herauszulocken – nicht den Mann, der neben Midori im Bett lag oder der mir dann und wann in der Firma begegnete, sondern den Mann, der irgendwo in mir wohnte. Er stieg vor meinem Auge auf, wenn wir uns liebten, und verschwand wieder, sobald wir erschöpft nebeneinander ruhten. Schon möglich, daß manche von ihr schlecht denken mochten. Ich sah das anders. In Einsamkeit und Schmerz 389
hatte sie die dunkle Seite des menschlichen Daseins erfahren. Für mich war sie eine Meisterin, die mir ein Geheimnis wies. Die Erotik war dabei nicht das Wesentliche, in ihrer Weisheit hatte sie längst gemerkt, worum es mir ging. Als hätte sie alle Fragen, die ich mir stellte, in ihrem Herzen längst vernommen. Und so richtete sie keines ihrer Worte ins Leere.
›Du stehst vor einer Entscheidung und hast Angst davor. Aber irgendwann wirst du die Entscheidung treffen müssen. Du kannst nicht immer nur einen Schritt vorwärts und einen rückwärts machen. Du tust deiner Frau mehr weh, wenn du fremdgehst, als wenn du mit ihr Schluß machst. Siehst du, es ist nicht anders als beim Tanz. Stehe ich auf der Bühne und mache die Shirome, die weißen Augen, sind die Zuschauer beeindruckt. In Wirklichkeit ist es keine Kunst, jedes Kind bringt das zustande. Hier, ich drehe nur die Augäpfel nach oben. (Sie machte es mir vor.) Das habe ich spielend gelernt. Ich tanze blind, aber ich schärfe dafür mein Gehör. An den Geräuschen im Saal, an dem Atem der Zuschauer merke ich, wie mein Tanz auf sie wirkt. Ich öffne mich den Empfindungen der Zuschauer, mein Körper offenbart ihre Gedanken und Gefühle; meine Bewegungen malen Bilder in die Luft, die von allen Zuschauern verstanden werden können. Ich werde zu einem Medium und kann alles darstellen, was die Zuschauer wollen oder was ich selbst will…‹
Ihre Finger auf meiner nackten Brust ahmten so vollkommen die Bewegungen einer Spinne nach, daß ich zusammenzuckte. Antonia lachte gurrend.
›Da hast du es! Ich wollte eine Spinne sein und bin eine geworden. Ich kann auch eine Pflanze sein oder ein Leopard. Ich kann eine Frau in den Geburtswehen darstellen, mich selbst zur Welt bringen oder als Greisin vor dir sterben. Sieh nur!‹
Und tatsächlich, in einer Sekunde veränderte sich ihr Gesicht, wurde zum Antlitz einer uralten Frau. Die Züge wirkten abgezehrt und leidend, die runzligen Lider bebten, die strichdünnen Lippen zogen sich über den Zähnen zusammen. Ich starrte sie an, fasziniert und benommen. Und schon beim nächsten Atemzug glättete sich ihr Gesicht. Die Haut wurde wieder glänzend und straff, Nase und Kinn klar gemeißelt. Sie blinzelte mir schelmisch zu.
›Starr mich nicht so an! Ich bin kein O Bake – kein Gespenst.
Das ist kontrollierte Mimik, nichts weiter. Die Bühne, siehst du, ist ein Ort für die Erscheinungen. Die Leere der Bühne provoziert, was ich hervorbringe, und ich fülle sie mit meinen inneren Bildern. So erlebe ich jedesmal, daß in Wirklichkeit angefüllt ist, was leer scheint. Das bringst auch du fertig, sofern du deinen Geist beherrschst‹.
Nicht nur ihre Worte und Bewegungen faszinierten mich; mir war, als ob das Spektrum ihres Ausdrucks sogar die Stimmbänder einbezog. Aus ihrem Mund kamen ganz erstaunliche Laute, rauh und zärtlich, heiser und weich, hell und dunkel zugleich. Manchmal schwieg sie ein paar Atemzüge lang, die Lippen leicht geöffnet, als ob sie dem Klang der eigenen Worte nachlauschte, bis er sich 390
verflüchtigte. Nichts daran wirkte geziert, es war einfach ihre Art zu sprechen.
Doch ich wollte ihr nicht auf den Leim gehen.
›Wie kann ich meinen Geist beherrschen?‹ fragte ich sarkastisch. ›Er tut ja immer nur das, was er will.‹
Sie nickte mit ernstem Ausdruck.
›Gewiß, das ist nicht einfach. Dein Geist tanzt in dir wie schwarze Lichtflecken vor den Augen. Er ist ständig in Bewegung, du glaubst, er läßt sich nicht fangen.
Ja, das ist etwas, was du nicht ohne weiteres kannst. Du mußt ihn zähmen wie
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