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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gleichzeitig zu den Toiletten und hinter die Bühne führte. Ein paar Techniker waren dabei, ihre Sachen wegzuräumen, und beachteten mich nicht.
    Die Tür zur Garderobe war nur angelehnt. Ich sah durch den Spalt einen düsteren Raum und darin einen Schatten, der sich bewegte. Ich klopfte leise an.
    Eine Frauenstimme sagte etwas. Ich stieß die Tür weiter auf, blieb auf der Schwelle stehen. Sie saß am Schminktisch vor dem Spiegel. Sie hatte schon geduscht, trug einen schwarzen Jogginganzug und schminkte sich ab. Ihr Haar war mit einem Frotteeband zusammengebunden. Sie sah mich in dem Spiegel über dem schmalen Tisch voller Schminkzeug, Pinsel, Puderquasten und nasser Waschlappen. Ich lehnte an der Tür, meine Jacke hing mir über die Schulter. Ich sagte nichts. Sie fuhr gelassen fort, ihre Schminke aus dem Gesicht zu entfernen.
    ›Was willst du?‹ fragte sie schließlich in den Spiegel hinein.
    ›Ich weiß es nicht‹, antwortete ich.
    Sie lachte kurz auf.
    ›So? Du weißt es nicht?‹
    Ihre Stimme war ganz anders als die helle, etwas kindliche Stimme vieler Japanerinnen. Sie kam tief aus der Brust, hörte sich leise und eindringlich an, und ihr Akzent war nicht der von Tokio. Eine Zeitlang herrschte wieder Schweigen. Sie tupfte Creme auf die Handfläche, massierte sich sorgfältig die Wangen ein. Dann wandte sie ihren Drehstuhl nach mir um. Sie saß da wie ein Mann, breitbeinig, mit geradem Oberkörper, die bloßen Füße auf dem Zementboden fest nach außen gedreht. Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel.
    ›Nun? Sag mir die Wahrheit, und dann will ich sehen.‹
    ›Ich will mit dir schlafen‹, erwiderte ich.
    ›Das habe ich mir gedacht.‹
    Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu, riß das Stirnband vom Kopf, nahm eine Bürste und begann mit kräftigen Bewegungen den Puder aus ihrem Haar zu entfernen.
    ›Was treibst du so im Leben?‹
    ›Ich bin Informatiker‹.
    ›Ja, du siehst danach aus.‹
    Ich schwieg. Sie warf ihr Haar mit einer Kopfbewegung nach hinten.
    ›Kommen die öfter vor, solche Geschichten wie diese?‹
    ›Nein, es ist das erste Mal.‹
    Sie kicherte und ließ die Bürste sinken.
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    ›Ich glaube nicht, daß du mir etwas vorlügst. Du mußt nicht denken, daß ich auf der Bühne in Trance bin. Tänzer sind niemals in Trance. Oder besser gesagt, sie kontrollieren sich genau auf der Schwelle des Bewußtseins, sonst würden sie herumtorkeln wie Betrunkene. Um das zu sehen, gibt das Publikum sein Geld nicht aus. Ich habe gelernt, wie man tanzt. Ich kann meinen Körper wie eine Marionette an einem Faden bewegen, aber mein Geist ist wach und beherrscht jede Bewegung und jeden Augenaufschlag. Ich sehe die Zuschauer und weiß genau, wie ich auf sie wirke. Meistens sind mir die Leute gleichgültig, aber manchmal fällt mir ein Gesicht auf. Dich habe ich sofort gesehen und auch die ganze Zeit gespürt. Ich wußte, daß du kommen würdest. Ich habe dich ja gerufen.‹
    Ich warf meine Jacke irgendwohin und trat auf sie zu. Ich sah ihr Gesicht im Spiegel. Ihre Stirn war breit und gewölbt, die Nase ein wenig flach, die Augen standen dicht zusammen. Die Iris war sehr groß und schimmerte feucht. Ich stellte mich dicht hinter sie. Sie lehnte ihren Kopf und ihre Schulter an mich. Ich nahm ihr die Bürste aus der Hand.
    ›Laß mich nur machen.‹
    Ich bürstete ihr Haar; das Neonlicht glühte auf der kräftigen, federnden Masse.
    Es knisterte und warf Funken unter meiner Hand, wie das Fell einer Katze. Sie rieb ihren Kopf an mir hin und her. Ihr Duft war mir nahe, ich hörte ihr rasches Atmen und spürte ihre Wärme wie Flüssigkeit durch meinen Unterleib sickern. Unsere Augen begegneten sich im Spiegel.
    ›Trägst du auch nach Arbeitsschluß eine Krawatte?‹ fragte sie.
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26. KAPITEL
    E igentlich hieß sie Hanano, aber als Tänzerin nannte sie sich Antonia. Seitdem ich mit Midori verheiratet war – und es waren immerhin fast sieben Jahre –, war ich nie fremdgegangen. Antonia lebte im volkstümlichen Viertel Naka Meguro in einem Reihenhaus aus den sechziger Jahren. Der scheußliche Betonklotz, mit einer Außentreppe aus Eisen, stand gleich neben der Bahnstation. Alle drei oder vier Minuten donnerte die U-Bahn vorbei, und der Schatten der Wagen flackerte auf der Zimmerwand. Nur in der Nacht – von eins bis fünf – herrschte Ruhe.
    Antonia – sie bestand darauf, daß ich sie so nannte – war völlig unempfindlich gegen diesen Lärm. Sie hörte ihn nicht mehr. Ihr Studio war nur ein

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