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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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für das Beileid der Firma, die einen Kranz und einen Geldbetrag geschickt hatte, und teilte ihm mit, daß ich aussteigen wollte.
    Der Generaldirektor machte ein saures Gesicht. Und das mit gutem Grund, denn er hatte einiges in meine Ausbildung investiert. Seit einigen Jahren war ich nun soweit, daß sich die Investition auszahlte und ich als künftige Führungskraft in Frage kam. Ich sagte ihm klipp und klar, daß ich nicht jahrelang meinen Geist entwickelt habe, um in das Konzept einer Firma zu passen. Der Boß war – gelinde gesagt – über meine Aussage schockiert. Immerhin bemühte er sich um Verständnis: Es sei offensichtlich, daß mich der Verlust meiner Schwester tief getroffen habe. Ob ich nicht ein paar Tage Urlaub in einem der firmeneigenen Ferienhäuser nehmen wolle? Was ich denn lieber hätte: die Berge oder das Meer?
    Ich erwiderte, es gehe mir nicht darum. Ich wollte einfach nur weg von allem –
    ohne Zukunftspläne. Während wir sprachen, spuckte das Telefax im Nebenzimmer Briefe und Mitteilungen aus, und eine Sekretärin brachte Briefe zum Unterschreiben. Das Telefon klingelte fünfmal, und der Boß, der noch etwas anderes zu tun hatte, als sich meine Unhöflichkeit gefallen zu lassen, verlor allmählich die Geduld. Er hätte bis jetzt einen sehr positiven Eindruck von mir gehabt; ob ich denn überhaupt nicht realisiere, daß ich im Berufsleben meine beste Chance verschenke? Ich antwortete, das sei mir egal, auch wenn es sich unsinnig anhöre. Mir käme es jedenfalls sehr vernünftig vor. Nach zehn Minuten wurde deutlich, daß wir nicht mehr dieselbe Sprache redeten. Ich bekam einen Monat Kündigungsfrist.
    Noch am gleichen Abend teilte ich Midori mit, daß ich es satt hätte, mein Leben lang den schattenhaften Versorger für sie zu spielen, und daß ich mich eine Zeitlang von ihr trennen wolle. Midori senkte die perfekt geschminkten Lider, legte die Hände in den Schoß und vermied es, die Stimme zu erheben. Es war nur natürlich, daß sie mein unbeherrschtes, allzu gefühlsbetontes Verhalten verurteilte.
    In würdevoller Haltung warf sie mir Unbedachtsamkeit und Eigensucht vor. Ob ich denn keine Sekunde an sie und an das Kind gedacht hätte? Ich erwiderte, doch, die ganze Zeit, und sie solle sich deswegen keine Sorgen machen, für ihren finanziellen Unterhalt sei gesorgt. Sie bedeckte ihre Augen mit einem Taschentuch, schön behutsam allerdings, um die Lidschatten nicht zu verwischen. Worauf ich mir schuldig und gemein vorkam und sie umarmen wollte, sie jedoch die Schultern straffte und mich zurückwies: ›Rühr mich nicht an! ‹ Fortan bezog ich wieder Quartier auf der Couch, die viel zu eng für mich war. Aber ich wurde allmählich anspruchslos.
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    Midori ließ sich nicht gehen, das war nicht ihre Art. Sie kleidete sich sorgfältiger als je zuvor, zeigte mir ein Gesicht kühler Duldsamkeit, hauchzart überpudert. Sie machte mir keine Szene, wollte lediglich wissen, was sie denn falsch gemacht habe. Ich konnte ihr ebensowenig Vorwürfe machen wie mich mit irgendwelchen konkreten Beweggründen rechtfertigen. Wir bemühten uns ehrlich, aber jedes Gespräch führte lediglich dazu, unsere Welten ein Stück weiter auseinanderzuschieben und endgültig, unwiderruflich zu trennen.
    Die Schwiegereltern marschierten auf, um mir ins Gewissen zu reden. Ich kam mir plötzlich wie in einem Theaterstück vor. Wir waren alle Schauspieler, die ihren Text rollengemäß sprachen und dabei möglichst wenig gestikulierten. Es war viel von Verantwortung und Familienehre die Rede, von Moral. Midori spielte in blumenhafter Zartheit und mit verhaltenem Händeringen die Glanzrolle der leidenden Gattin, der männlichen Willkür ausgeliefert. Sie kostete es aus, sich als Opfer in Szene zu setzen. Es war nicht ihr Fehler. Put the blame on me, darling.
    Wir haßten uns nicht einmal. Wir waren uns gleichgültig. Daß ich alle Schuld auf mich nahm, schien ihr selbstverständlich. Meine Zweifel waren vorüber. Ich empfand nicht einmal Kummer. Es gab Augenblicke, da hätte ich beinahe gelacht.
    Nach Arbeitsschluß verbrachte ich viele Stunden in unserem alten Haus in Omote Sandô. Ich wanderte von einem Zimmer ins andere und dachte an früher.
    Ich legte alte Schallplatten auf: Mahler, Puccini, Izumi Taku, Brahms, und auch Don’t cry for me, Argentina. Erinnerungen umfassen die im Gedächtnis bewahrte Zeit und halten irgendwo inne. Aber das ganze Haus war für mich voller Erinnerungen, ich konnte nicht auswählen; sie

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