Silbermuschel
nur eine leichte Taubheit im Herzen, eine Art Lähmung. Isamis Körper lag in dem Sarg, doch sie selbst war bei mir. Ich spürte sie in mir wie die Wärme eines Feuers, machtvoll und sanft zugleich.
›Du weißt doch, daß zwischen uns schon immer eine Verbindung bestand‹, sagte Isami. ›Du und ich, wir sind dazu bestimmt, uns zu ergänzen. Du außen, ich innen. Und als Mann bist du wirklich nur brauchbar, wenn du zu fühlen lernst wie eine Frau. Lach jetzt bloß nicht. Alle machen so ernste Gesichter. Und überhaupt, was soll diese ganze Zeremonie? Nun ja, sie muß wohl sein. Also sehen wir zu, daß wir sie bald überstanden haben.‹
Ich ließ die Gegenwart an mir vorbeigleiten, hörte die Worte des Priesters, aber 418
gab mir nicht die Mühe, ihren Sinn zu verstehen. Manche Anwesenden trockneten sich mit einem Taschentuch die Augen, doch ich stand, die Hände verschränkt, vollkommen still. Isami hatte schon recht, diese offizielle Angelegenheit hatte mit uns nur wenig zu tun. Als der Priester seine Lesung beendet hatte, kniete ich nieder vor dem Altar, opferte Weihrauch und sprach ein Gebet. Die Worte waren vorgeschrieben; es waren nicht unsere Worte, doch sie mußten gesagt werden. Und dann stand ich wieder an meinem Platz und sah Midori und Norio vor den Altar treten. Midori trug ein schwarzes Kleid aus Seidencrepe und eine doppelreihige Perlenkette. Ihr blauschwarzes Haar, mit einer Samtschleife gehalten, war wundervoll frisiert, viel zu elegant für einen Traueranlaß; wenigstens empfand ich es so. Dann kamen die Schwiegereltern und die entfernten Verwandten.
Nacheinander knieten alle Trauergäste vor dem Altar nieder, verbeugten sich und beteten leise, und ich stand reglos da und sprach mit Isami. Wir waren durch Gefühle und Schlüsselwörter miteinander verbunden, und das, was um uns herum geschah, berührte uns kaum.
Der Priester gab mir ein Zeichen. Es war der Augenblick, den ich am meisten fürchtete, wenn ich den Sarg zudecken und festnageln mußte. Ich trat vor, blickte Isami zum letzten Mal an. Weihrauchnebel und Gegenlicht legten einen dunstigen Film auf meine Augen. Ich sah sie nur durch einen Schleier.
›Steh nicht da wie eine Bildsäule‹, sagte Isami zu mir. ›Du weißt, daß es nichts zu bedeuten hat. Es muß einfach geschehen. Also, worauf wartest du noch?‹
Und so legte ich den Deckel über sie; und wie es der Brauch vorschrieb, gab man mir einen Stein in die Hand. Mit diesem Stein schlug ich den ersten Nagel in den Sarg. Mir war, als ob ich ihn in meine eigene Brust schlüge. An der Stelle, wo mein Herz pochte, zuckte ein brennender Schmerz auf – doch nur kurz.
So wurde der Sarg zugenagelt und in das Krematorium gebracht, und dann war die Zeremonie vorbei. Ein Abschiedsessen folgte in einem Restaurant.
Förmlichkeit und Andacht wurden jetzt nicht mehr verlangt. Die Gäste unterhielten sich, scherzten und lachten. Viele brachen vorzeitig auf, um noch vor der Stoßzeit nach Hause zu kommen.
Die Einäscherung fand zwei Tage später im Krematorium statt. Diesmal waren nur Midori und Norio anwesend. Und genau wie beim Tod meiner Mutter hatte ich die Pflicht, Isamis Knochenreste aus der Asche zu nehmen, damit diese in die Urne getan werden konnten. Der Mann, der ich inzwischen geworden war, begriff den Sinn dieser Handlung. All das, was mir damals unheimlich und erschreckend vorgekommen war, erfüllte mich nur noch mit Ehrfurcht. Und als ich sah, wie Norios Gesicht sich verkrampfte, empfand ich das Bedürfnis, ihn von dieser Furcht zu erlösen. Und so legte ich die Stäbchen in Norios kleine Hand, lehrte ihn behutsam die gebräuchlichen Gesten. Und er tat, was ich ihm zeigte, etwas eingeschüchtert, aber sehr geschickt und mit großer Ruhe.
Als alle Riten vollzogen waren, überreichte uns der Priester die Urne, in weiße 419
Seide gehüllt. Bis zu ihrer Bestattung stand die Urne nun in unserem Altarschrein.
Unter dem kleinen Bronzebuddha und der Ewigen Lampe aus durchbrochenem Messing befanden sich zwei vergilbte Fotos meiner Eltern in silbernen Stehrahmen. Ich stellte auch ein Bild von Isami auf, zündete jeden Abend zwei Kerzen und ein Weihrauchstäbchen an. Und nach sieben Tagen wurde die Urne in unserem Familiengrab beigesetzt, und damit war alles vorbei.«
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28. KAPITEL
»Z wei Tage später produzierte ich einen gewaltigen Skandal. Ich meldete mich bei meinem Firmenboß an, der mich in seinem eleganten Büro in der zwölften Etage empfing. Ich bedankte mich formell
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