Silbermuschel
dessen polierte Oberfläche wie Atlasseide glänzte. Einige Zabutons –
Sitzkissen aus blauorange bedruckter Baumwolle – lagen am Boden verstreut. In einer Vitrine befand sich die Puppensammlung, von der Ken mir erzählt hatte. Eine vollgestopfte Bücherwand mit Stereoanlage und Kassetten nahm eine ganze Seite des Wohnraums ein. Auf einer Kommode mit kunstvollen Eisengriffen stand ein geschlossener Altarschrein aus Mahagoniholz. Und in der Wohnzimmernische hing über einer großen Steingutvase das Rollbild, das einst Isamis Heim beschützt hatte. Die Macht der Tuschzeichnung strahlte durch den Raum, wie als Antwort auf die Gewalt des Meeres, draußen am Strand. Eine Schwäche, die zugleich ein Glücksgefühl war, überkam mich. Ich wußte, es wohnten gute, sanfte Geister in diesem Haus. Geister, die meine Liebe spürten und die auch mich willkommen hießen. Gesenkten Kopfes verbeugte ich mich, grüßte schweigend die segnenden Symbole. In Gedanken bat ich sie, mir Ruhe zu schenken, meine Seele zu läutern und alles Böse von mir fernzuhalten.
Ken hatte mich nicht aus den Augen gelassen. Als ich mich aufrichtete, trat er lautlos auf mich zu, schloß mich in seine Arme. Wir küßten uns, und es war wie ein Bund, den wir besiegelten, ein Schwur, den wir tauschten. Eine Weile standen wir eng umschlungen, dann trennten wir uns mit einem Lächeln, während er meine Hand in der seinen hielt.
438
»Wir sind die Zukunft der Ahnen«, flüsterte er. »Sie wissen es.«
Stumm drückte ich die Stirn an seine Schulter. Das Ziehen in meinem Leib –
ich wollte es nicht wahrhaben, es vergessen. Aber der Schmerz war da, er kam und ging, spannte meine Bauchdecke und machte sie hart. Es gab kein Zeichen, das ich so genau lesen konnte, wie diesen Schmerz. Ken merkte meinen Stimmungswechsel sofort; oft hatte ich das Gefühl, er kannte mich besser als ich mich selbst. Er legte den Arm um meine Taille mit den Worten:
»Du hast die Aussicht noch nicht gesehen!«
Er trat mit mir an die Fenstertür. Das Haus, das so sicher auf seinem Hügel stand, schien über dem Meer zu hängen. Die ganze Weite der Schaumwellen war in einem Rahmen eingefangen, ein lebendiges Gemälde, wechselnd im Spiel der Schatten und des Lichts. Ken schob die Fenstertür zurück; wir gingen nach draußen auf die Veranda. Der Wind schlug uns mit seinem Geruch nach Salz und Holzkohle entgegen, und die Brandung dröhnte.
Die Bucht öffnete sich nach Westen hin, wobei die Bergkuppe mit ihren alten Bäumen den natürlichen Außenrand des Hafens bildete. Am kiefernbewachsenen Hang standen die Häuser, friedlich und wie gemalt. Auf der anderen Seite zog sich der Sandstrand halbmondförmig in die Länge; der Leuchtturm, den ich vom Schiff aus gesehen hatte, erhob sich schmal wie ein Bleistift auf einer Landzunge im Meer. Alles Blau des Himmels und des Wassers war dort zu einem Glühen verdichtet und verströmte dieses kräftige Aroma aus Freude am Licht und am Leben. Ich fühlte mich eins mit diesem riesigen Kreis von Himmel und Meer; ich brauchte nur noch die Hände auszustrecken, westwärts über die See hinaus, um jene Glückseligkeit und Unschuld zu fühlen, die in den fernen Tagen meiner Kindheit einmal Wirklichkeit gewesen war.
»Das Dorf heißt ›Himesaki‹, die ›Halbinsel der Prinzessin‹.«
Kens Stimme, dicht neben mir, klang wie ein natürliches Echo des Windes.
»Der Name bezieht sich auf unsere Schutzgöttin ›Sayori-Hime‹, die ›Prinzessin der Großen Wasser‹. Sie wohnt auf der Seeseite des Berges und verbietet, daß die Fischer vor ihrem Schrein die Netze auswerfen. Alle Fangboote machen einen Bogen, um die heiligen Gewässer nicht zu entweihen. Sayori-Hime mahnt uns, die Geschenke des Meeres zu achten. Leider neigen wir Menschen zu Profitsucht. Wir verwüsten die Erde und vergiften die Ozeane, um Geld zu verdienen. Aber die Augen der Göttin überblicken Raum und Zeit; ihr Wirken läßt sich nicht mit menschlichen Maßstäben messen. Und manchmal ist es gut, daß sie uns einen Sturm schickt…«
Er sprach in seiner schlichten, täuschend lockeren Art. Und gerade dadurch unterschieden sich seine Worte vom oberflächlichen Gerede, trafen in ihrer Hintergründigkeit mitten ins Herz.
»Wie gut du die Göttin zu kennen scheinst, Ken!«
Er lächelte.
439
»Hier auf der Insel ist sie uns nahe.«
Er zeigte mir einen Weg neben dem Zaun, der über den Hang und an den Häusern vorbei zum Strand führte.
»Man ist gleich unten im Dorf. Und vom
Weitere Kostenlose Bücher