Silbermuschel
Hafen aus fährt jede halbe Stunde ein Bus nach Ryotsu. Die Fahrt dauert keine zehn Minuten. Praktischer geht’s nicht.«
»Wie hast du dieses Haus gefunden?«
»Ein Glücksfall. Die Besitzerin wohnt bei ihrer Tochter in der Stadt und hatte gehört, daß ich mich nach einem Haus umsah. Zuerst wohnte ich als Mieter hier und mußte mit dem vorliebnehmen, was vorhanden war. Als ich der Frau sagte, daß ich einiges umbauen wollte, verkaufte sie mir das Haus.«
Wir gingen wieder hinein; er stieß alle Schiebetüren auf, um mir die anderen Räume zu zeigen. Im Schlafzimmer war nur ein Wandschrank für das Bettzeug vorhanden, eine winzige Kommode aus Weißholz und eine Stehlampe. Das Fenster war mit einem Shôji versehen; dahinter befanden sich die Glasscheibe und ein ganz feines Netz zum Schutz gegen die Insekten. Bäume und Sträucher bewegten sich auf dem milchigen Weiß der Papierwand.
»Ich bin etwas genügsam eingerichtet«, meinte Ken. »Aber die Futons sind schließlich das wichtigste, nicht wahr?«
Er zwinkerte mir zu, und ich errötete wie ein Schulmädchen. Er lachte und führte mich in sein Arbeitszimmer. Der Raum war vollgestopft mit Büchern, Zeitschriften und Bergen von Akten. Auf dem Schreibtisch stand eine große Computeranlage, daneben ein Faxgerät und ein Fotokopierapparat. Alle möglichen Fotos, Prospekte und Landkarten waren an die Wände geheftet. Kens Augen funkelten ironisch. Meine Überraschung war ihm nicht entgangen.
»Hast du geglaubt, daß wir hier auf dem Mond leben?«
Von dem Vorraum ging rechts die Küche und links das Badezimmer ab. Die Küche war groß genug für einen Tisch und ein paar Stühle. Das Geschirr wurde hinter Paneelen an der Wand aufbewahrt. Alles war vorhanden: elektrischer Herd, Eisschrank, Mikrowelle, Kaffee- und Geschirrspülmaschine.
Eine Tür, die wie ein Teil der Wand aussah, führte ins Badezimmer. Ken öffnete sie, indem er einen Bronzezapfen drehte. Das Bad war nach japanischer Art in zwei Räume geteilt. Im ersten Raum befanden sich das Waschbecken mit Spiegel, eine Anzahl Einbauschränke für die Handtücher und eine Waschmaschine.
Dahinter lag der eigentliche, grün gekachelte Baderaum. Die in den Boden eingelassene Wanne war nach altmodischer Art mit einem Holzdeckel versehen.
Vor der Wanne standen ein Schemel, ebenfalls aus Holz, und ein Behälter für Seife, Shampoo und Bimsstein.
»Früher war ein tragbarer Gasofen die einzige Wärmequelle«, erklärte mir Ken.
»Jetzt funktioniert alles elektrisch.«
Auch das WC neben dem Baderaum war neu und bequem. Ken grinste breit.
»Leider sind wir noch nicht an die Kanalisation angeschlossen. Der 440
antiseptische Tank fährt regelmäßig durchs Dorf. Nun ja, jedes Paradies hat seine Schattenseiten!«
Beim Hinausgehen fiel mir auf, daß in der Garderobe ein gelber Ölmantel hing; darunter standen ein paar gleichfarbene Gummistiefel. Ken streifte sie mit einem Blick, bevor er die Schiebetür zu dem letzten Zimmer zurückstieß.
»Hier bewahre ich alles auf, was ich nicht augenblicklich brauche. Manchmal schlafen auch ein paar Leute meiner Gruppe da. Bettzeug ist genügend vorhanden.«
Im Raum befanden sich Kisten, Schachteln und Koffer, Regale mit Büchern, aufgestapelte Steppdecken und Kissen sowie alle möglichen Haushaltsgegenstände. Neben einer Kommode, deren Lack verdunkelt war, stand ein Schrank, glatt und glänzend, mit kunstvollen Eisenverzierungen. Ich fuhr mit der Hand darüber.
»Welch schöne Arbeit! «
»Die Möbel gehörten Isami«, sagte Ken. »Ich habe noch nicht den geeigneten Platz für sie gefunden.«
Ich staunte, denn in Europa bestehen selbst die Rückwände wertvoller Möbel aus schlichten Brettern. Dieser Schrank jedoch war von allen Seiten mit der gleichen Sorgfalt gehobelt und poliert; weder außen noch innen war die geringste Spur eines Nagels zu sehen. Als ich behutsam eine Schublade aufzog, erblickte ich eine Anzahl Pullover und Kleidungsstücke, die einer Frau gehörten. Ken runzelte die Stirn.
»Ich hatte Mitsue gebeten, ihre Sachen zu holen.«
»Das macht doch nichts«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Ich will, daß alles klar ist.«
»Hat sie einen Schlüssel?«
»Bis jetzt, ja.«
»Ken«, sagte ich gepreßt, »du darfst ihr nicht böse sein.«
»Ach, wo«, erwiderte er. »Ich bin ihr doch nicht böse.«
Er ging in die Küche, öffnete eine Schublade, dann eine andere, nahm ziemlich wahllos Gemüse aus dem Eisschrank und legte es auf die
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