Silbermuschel
würde der Füchsin begegnen, meine Haut erneuern und die Zeichen des Lebens empfangen. Ich hatte keine Lust, über diese Dinge nachzudenken. Besser gesagt, ich fühlte sie so nahe, daß ich lieber einen großen Bogen um sie machte. Und es ist nicht immer leicht, zwischen Vorgefühl und Phantasie zu unterscheiden. Aber du und ich wissen, daß es ein Leben jenseits dieses Lebens gibt, und nichts kann uns erschrecken.«
»Doch, Ken! Ich habe Angst.«
»Das brauchst du nicht. Du bist stark genug.«
»Aber nur, wenn du bei mir bist.«
»Ich bin bei dir. Immer. Überall. Wir können nicht getrennt werden.«
Er schloß mich eng in die Arme. Seine Lippen flüsterten an meinem Ohr, und sein warmer Atem strich über meine Wange.
»Du bist alles, was ich sehe, höre und fühle. Ich ziehe einen Zauberkreis um uns, mit einem roten Band. Unsere Herzen klopfen, hörst du sie? Wer von uns weiß, welches das deine ist und welches das meine? Sei ohne Furcht: Ich werde im Fackelschein die Trommel schlagen! Du wirst mich rufen und ich werde antworten.«
Er löste sich von mir, um mich anzuschauen. Ich bemerkte einen Schimmer in seinen Augen. Ich kannte diesen Ausdruck; er kam aus jenem Teil von ihm, der sich manchmal öffnete wie ein dunkler Brunnenspiegel unter nächtlichen Sternen.
Und ich spürte, wie es auch mich hinabzog, den leuchtenden Tiefen entgegen, wo das Leben niemals endete.
Ich weiß jetzt, wer du bist, Ken: ein Wissender, der alle gefährlichen Kräfte in gute umwandelt, der mich aus der Umklammerung des Vaters erlöst und mich zum Mutterschoß zurückführt, zum Tor, durch das alle Wunder hervortreten. Eine letzte Prüfung steht mir bevor. Ich soll das Unbewußte bewußt, die Vergangenheit zur Gegenwart, die Entrückung zur Nähe machen, bis wir eins und doppelt werden.
Dann werden die Fackeln brennen, die Sonne um Mitternacht scheinen. Und am Ende der langen Nacht wird der erste Hahnschrei den Morgen verkünden.
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34. KAPITEL
H ier auf Sadoga-Shima, zwischen Dünen und Kiefern, wo der Himmel so blau wie das Meer war, lebten die Menschen in enger Gemeinschaft mit den Göttern.
Matsuri nannten die Japaner jene Feiern, die sie ihnen zu Ehren gestalteten.
Nachts, wenn der Mond auf den Wellen funkelte und die Schatten fast senkrecht standen, spürte ich deutlich, wie sich das Unsichtbare regte, wie die Kräfte der Insel erwachten. Es lag ein Knistern in der Luft, ein dumpfes Pochen, ein Flüstern und Raunen; die Geräusche kamen mit dem Wind, mit dem Knarren der Zweige und Büsche, mit dem Seufzen des Meeres. Ich hatte Kopfschmerzen und konnte nicht schlafen. »Mir ist seltsam zumute«, gestand ich Ken. »Da ist eine Freude und ein Schmerz. Ich fühle beides und weiß nicht, ob ich glücklich bin oder weinen möchte.«
»Immer«, erwiderte er, »immer wenn die Götter erwachen und zu den Menschen hinabsteigen. Alles, was göttlich in der Natur ist, tritt in Erscheinung.
Dann kommt die Zeit, in der wir sterben und wiedergeboren werden.«
Er hielt inne, als überlegte er. Ich fragte: »Wenn du die O-Daiko schlägst, fühlst du es dann?« Er lächelte; ich sah seine weißen Zähne blitzen. »Das ist etwas, das viele nicht wissen. Der Klang der Trommel bewegt die Erdkräfte. Die Mächte, die ich herbeirufe, kommen. Dann muß ich wachsam sein wie ein Schwertkämpfer in alten Zeiten, der sich unter keinen Umständen eine Blöße geben durfte, weil ein einziger Augenblick der Nachlässigkeit sein Leben gefährdete.«
Mein Atem stockte. Mir war, als ob eine Feder meinen Nacken streifte.
»Willst du damit sagen, daß es gefährlich sein kann?«
»Gefährlich?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, gefährlich ist es nicht. Zumindest empfinde ich es nicht so. Die O-Daiko kennt keine Bosheit im menschlichen Sinn.
Begegne ich ihr mit Achtung, schenkt sie mir ihre Kraft. Aber irgendwann kommt der Augenblick, dann muß ich zwei Dinge gleichzeitig tun: das Spiel leiten und selbst zum Instrument der Gottheit werden. Ich muß wie Erz werden, das im Feuer seine Form verliert und selbst zu Feuer wird. Aber das ist natürlich eine Metapher und eine schlechte noch dazu.«
Er spottete über sich selbst, wie er es oft zu tun pflegte. Damit konnte er viele täuschen; ich jedoch kannte ihn besser.
Das Fest sollte zwei Tage dauern. Nach Sonnenuntergang würden die Kultfackeln zum Strand getragen und aufgestellt. Dann würde die Göttin ihr Heiligtum in einem Tragschrein – O Mikoshi – verlassen. Man würde sie durch die
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