Silbermuschel
verlangen. Ich habe ihm nachdrücklich versichert, daß wir, mit den einheimischen Trommlern verglichen, Aufschneider seien. Odasan bestreitet das natürlich, wobei er sich seinen Teil denkt.«
Odasan verneigte sich noch einmal, Ken ahmte schalkhaft die Bewegung nach.
Ihre spaßhafte Miene zeigte, daß keiner von beiden sich durch konventionelle Floskeln beeindrucken ließ. Die Männer unterhielten sich eine Weile; es ging um Einzelheiten des Festablaufs. Inzwischen sah ich mich um; im Schatten der Bäume bemerkte ich eine Frau in dunkelblauen Pluderhosen, mit einer weißen Kittelschürze angetan und mit einem Frotteetuch um den Kopf. Sie kauerte mit hochgezogenen Knien auf dem Boden und bewegte mit erstaunlicher Gelenkigkeit den Oberkörper von einer Seite zur anderen. Sie hielt eine kleine Harke in der Hand und rupfte Unkraut aus. Meine Wangen wurden heiß, als ich Kimiko erkannte. Sie schien meinen Blick zu spüren, wandte mir den Kopf zu und nickte freundlich. Ich deutete eine Verneigung an; es überraschte mich, daß ich so hastig atmete. Auch Ken hatte sie aus den Augenwinkeln gesehen, wartete jedoch geduldig, bis Odasan seine Zigarette fertig geraucht hatte und sich wieder an die Arbeit begab. Erst dann gingen wir zu der alten Frau. Kimiko fegte das Unkraut mit einem kurzen Besen aus Reisstroh zusammen und stopfte es in einen Plastiksack. Sie erwiderte unseren Gruß mit einem vergnüglichen Schmunzeln im Gesicht. Ich trug meine Perlenkette mit dem Muschelanhänger. Kimikos dunkle Augen blieben daran haften. Sie zog ihre baumwollenen Arbeitshandschuhe aus, stopfte sie in ihre Hosentasche und deutete auf den Schmuck, wobei sie ein paar Sätze sprach. Die Worte vermochte ich nicht zu verstehen; ich vernahm nur ihren Klang, diesen besonders tiefen und heiseren Flüsterton ohne Resonanz und Schwingung.
»Was sagt sie denn?« fragte ich Ken.
»Sie freut sich, den Schmuck an dir zu sehen. Muschel und Perle vereinigen die Kräfte des Mondes und der Meere. Wenn eine Frau beide zusammen trägt, gewinnen diese Kräfte an Intensität. Sie sagt, es sei gut, daß ich Silber als Legierung gewählt habe, denn Silber bedeute Reinheit und Vertrauen.«
Während er ihre Worte für mich übersetzte, stimmte Kimiko mehrmals mit Kopfnicken zu. Dann sagte sie noch etwas, schmunzelnd, und Ken lachte frei heraus.
»Sie sagt, ich wüßte das alles ebenso wie sie. Allerdings sei es am Anfang nicht leicht mit mir gewesen, weil Männer einen bornierten Geist hätten. Immerhin hätte ich einiges gelernt und sofort gewußt, wer du bist.«
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»Wie meint sie das, Ken?«
Er wandte sich an die alte Frau. Sie legte den Kopf schief, sprach langsam, sehr bedacht. Dann nahm sie ihren Plastiksack auf, als ob damit alles gesagt sei. Kens Lächeln erlosch. Er atmete schneller, und ich sah, wie ein leichter Schauer seine Haut überzog. Ich fragte ihn mit den Augen. Er hielt den Blick auf Kimiko gerichtet, doch als er sprach, klang seine Stimme unverändert ruhig.
»Sie sagt, unsere Seelen seien miteinander verbunden. Wie der Baum mit dem Fuchs.«
Er wandte mir das Gesicht zu; mein Herz klopfte stürmisch. Mir war, als ob etwas in weiter Ferne über uns hinwegwehte, etwas, das weder gesehen noch sofort begriffen werden konnte. Kimiko bückte sich, band den Plastiksack mit einer Schnur zusammen. Den Sack gab sie Ken, mit einem Zeichen, ihr zu folgen. In ihren Strohsandalen ging sie uns voran in einen Holzschuppen, der als Lagerhaus zum Heiligtum gehörte. Verschiedene Werkzeuge wurden dort aufbewahrt. Es gab eine Pumpe, die mit der kleinen Quelle verbunden war. Und ein Schlauch hing da, mit dem die Büsche abgespritzt und der Kiesboden benetzt wurde. Im Schuppen roch es nach Moder und welken Blättern. Durch ein kleines Fenster fiel die Sonne auf ein wunderschön geformtes Spinnennetz, in dem eine grüne Spinne ruhte. Die alte Frau streckte die Hand aus. Ken stellte den Abfallsack zu ein paar anderen in eine Ecke. Inzwischen hängte Kimiko die kleine Harke zu den an der Wand befestigten Geräten. Sie schüttelte sorgfältig den kleinen Besen aus, stellte ihn an seinen Platz. Schließlich löste sie die Schnüre, die die Ärmel ihrer Kittelschürze zurückhielten, entfernte ihr Kopftuch. Dann trat sie ganz nahe an mich heran. Ihr Körper versteifte sich, ihre Augen glänzten und schweiften umher. Sie nahm meine beiden Hände, hielt sie fest. Ihre Hände waren kräftig und warm; ich fühlte ihren Pulsschlag in den Fingerspitzen. Die Berührung
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