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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ken jedoch beachtete sie nicht; ich hatte das Gefühl, er sei allein mit dem Verletzten. Der Tod war nah; ich brauchte nur das weiße Gesicht zu sehen, das aus der Schläfe sickernde Blut, um zu wissen, daß der Fahrer den Unfall nicht überleben würde.
    Plötzlich erwachte der Verletzte aus seiner Betäubung. Seine Lider flatterten; die Pupillen schweiften umher. Er stemmte eine Hand auf den Boden und versuchte sich aufzurichten, sank aber mit einem Aufschrei zurück. Ken schob sich hinter ihn, so daß er ihn mit beiden Armen umfassen konnte. Der junge Mann begann heftig zu zittern, stieß einige Worte in englischer Sprache hervor. Ken drehte die Augen suchend herum. Sein Blick blieb an dem Mann haften, der den Unfall verursacht hatte; er sagte einige Worte zu ihm. Der Mann starrte ihn verstört an und nickte. Dann ging er mit schwankenden Schritten zu seinem Wagen und kam mit einer braunschwarzen Decke zurück. Ken hüllte den Verunglückten darin ein. Das Blut tropfte aus der Wunde in die Falten der Decke, wo es aufgesaugt wurde. Der junge Mann atmete stockend. Sein Gesicht wurde immer fahler, und die eine Hälfte färbte sich blau. Auf einmal bewegten sich seine Lippen.
    »Mother«, stieß er hervor.
    »Yes«, sagte Ken.
    Ein plötzlicher Krampf schüttelte den Verunglückten. Ich sah seinen Schädel jetzt deutlicher und bemerkte, daß er auf der einen Seite zersprungen war wie eine Schale.
    »Kalt!« flüsterte er. »Dunkel!«
    Ken senkte den Mund in sein Haar.
    »Nein. Die Sonne scheint.«
    Der Sterbende zitterte zunehmend stärker. Selbst die schwere Decke zitterte mit.
    »Ich habe Angst.«
    »Das brauchst du nicht«, sagte Ken.
    Der junge Mann keuchte und klapperte mit den Zähnen. Seine Stimme war nur 499
    noch ein Röcheln.
    »Sag Janice Bescheid.«
    Ken streichelte seine Hand.
    »Don’t worry.«
    »Geh nicht weg!« stöhnte der Sterbende.
    »Ich bleibe da.«
    Die Lider des Verunglückten zuckten. Sein Kopf lag an Kens Schulter. Ken legte den Mund an sein Ohr und sprach zu ihm mit einfachen Worten, wie zu einem müden Kind, das sich zur Ruhe legt.
    »Dieser Tag geht zu Ende. Ich glaube, daß du jetzt etwas schlafen wirst. Du fährst mit einem Schiff über das Meer, nach Osten. Und weißt du, ich würde gern mit dir fahren, aber ich muß noch warten. Für mich ist die Zeit noch nicht da. Du hast Glück: Du kannst schon heute gehen. Gleich wachst du auf, in Wärme und Licht. Und am Himmel, wo die Sonne aufgeht, ist ein großes Tor. Alle, die du liebst, sind dort versammelt und reichen dir die Hand. So viel Gutes hört nie auf.
    Niemals.«
    Die blutverkrusteten Lippen bewegten sich.
    »Schade… daß Janice nicht da ist.«
    »Sie kommt. Bald. Und du wirst am Tor stehen und sie umarmen.«
    Die Augen des Sterbenden waren geschlossen gewesen. Doch jetzt hob er die Lider und schaute aufwärts. Seine Hand berührte Kens Gelenk.
    »Who are you?«
    »Only a friend«, sagte Ken.
    »Thank you«, flüsterte der Sterbende.
    Sein Mund öffnete sich und Blut flöß heraus. Zuerst in dünnen Fäden, dann stoßweise in kleinen Wellen. Er seufzte dunkel und tief auf, dann war es vorbei.
    Sein Kopf sank zurück, und Ken legte ihm die Hände auf die Augen. Kurz danach ertönte, rasch näher kommend, die Sirene des Polizeiwagens. Als die Polizisten ausstiegen, teilten sich die Schaulustigen schweigend vor ihnen. Ken hatte sich nicht gerührt. Er hielt den Toten noch immer in den Armen und streichelte ihn, obwohl dieser es längst nicht mehr fühlen konnte.
    Bald kam auch der Krankenwagen. Die Sanitäter brachten eine Trage. Einer hob die Lider des Verunglückten, untersuchte die Verletzung und schüttelte den Kopf. Doch sie schoben ihn behutsam auf die Bahre, wickelten ihn in saubere Decken ein und trugen ihn in den Krankenwagen. Erst jetzt richtete Ken sich auf, mit steifen Gliedern. Er machte einige Bewegungen, um seine Gelenke zu lockern.
    Er war sehr blaß; um seinen Mund hatten sich tiefe Falten gebildet. Er sah an sich herunter, merkte, daß er mit Blut beschmiert war, und schien aus einer Art Trance zu erwachen. Der Mann, der die Polizei gerufen hatte, führte ihn in sein Geschäft, eine Eisenhandlung. In einem düsteren Gang war ein WC und daneben ein kleines Waschbecken mit einem vertrockneten Stück Seife und einem schmuddeligen 500
    Handtuch. Der Mann holte ein frisches. Ken zog sein T-Shirt aus, wusch sich Gesicht, Oberkörper und Arme. Dann trank er Wasser aus der hohlen Hand. Der Eisenhändler brachte ihm auch

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