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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Heiligtum. Ich muß zu den Musikern gehen. Wir sehen uns unten, am Strand.«
    Ich wandte ihm mein Gesicht zu, küßte ihn, folgte ihm dann mit den Augen, während er sich höflich und geschickt einen Weg durch die Menge bahnte. Bald war er fort, irgendwo zwischen den flackernden Lichtern. Doch mir war, als ob ich noch die Wärme seines Körpers in meinem Rückgrat spürte. Eigentlich hätte ich fotografieren sollen, aber ich war nicht fähig dazu. Getragen von der gleichen Verzückung wie die Tausende um mich herum, fühlte ich mich vom gleichen Geist erfüllt, von der gleichen Schönheit bezaubert. Und auch mein Herz klopfte schneller, als ein erwartungsvolles Murmeln durch die Menge ging und die Priester ein Instrument an die Lippen hoben, das ich erst auf den zweiten Blick als 505
    Hohlmuschel erkannte. Das nun erklingende Geräusch jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken: Ein intensives, magisches Brummen erfüllte die Luft, als ob unsichtbare Meereswellen über die Lichtung kreisten. Und wie ein Echo erklang aus der Finsternis ein tiefes, schwingendes Dröhnen: Die Trommel hatte den ersten Ton geschlagen. Das war das Signal zum Aufbruch der Gottheit. Auf den Schultern halbnackter Männer schwankte der Tragschrein aus schwarzem Lack, mit flirrendem Goldfiligran geschmückt, die Stufen hinunter. Andere Männer, mit Fackeln und Sakakibüscheln in den Händen, umringten den Tragschrein. Von allen Seiten dröhnten jetzt die Trommeln. Die Fackeln, wehend und flatternd im Seewind, geleiteten den O Mikoshi, der wie ein goldenes Schiff in der Dunkelheit schaukelte. Die Priester bliesen in die Hohlmuscheln oder hielten große Laternenstangen hoch, die Priesterinnen ließen ihre Glöckchen klingeln. Der Oberpriester an der Spitze des Zuges schwang eine Rute aus Weißholz, an der ein Bündel langer Streifen heiligen Papiers hing. Die Rute diente dazu, den Weg für die Gottheit zu ebnen und die bösen Geister zu vertreiben. Vor dem Oberpriester schritt das kleine Mädchen, mit ruhevollem, leicht entrücktem Gesicht, und hielt die Pechfackel hoch. Sie mußte schwer sein, denn ich sah, wie ihr Arm leicht zitterte. Plötzlich traten die Trommler unter den Bäumen hervor, umringten und geleiteten den Festzug. Ihre Gesichter waren hinter hölzernen Masken verborgen, rot und golden, mit Hörnern versehen. Die vermummten Gestalten trugen Gewänder aus schillerndem Brokat und Gamaschen wie die Bauern auf dem Feld.
    Sie waren die Dämonen der Vegetation, die Geister der Fruchtbarkeit und der Ernte, die Lichtbringer, die den heiligen Rausch leiteten. Nichts Böses haftete ihnen an: Sie waren Götterboten. Den Schluß des Umzugs bildeten fünfzig Männer, die das Amt und die Ehre, die Kultfackeln zu tragen, von ihren Vätern geerbt hatten. Sie schleppten die riesigen, säulenförmigen Gebilde an Stangen auf ihren Schultern. Bald lief der Schweiß in Strömen über die braungebrannten Gesichter, ihre nackten Schultern glänzten, als seien sie mit Öl eingerieben. Mit schweren, animalisch rauhen Tönen skandierten sie den Rhythmus; es war weder eine Sprache noch ein Gesang, was sich da aus den Brustkästen und den Kehlen entriß und jeden der stampfenden Schritte begleitete. Die Menge feuerte sie an, mit Zurufen, Gelächter und Händeklatschen. Ab und zu schied ein erschöpfter Träger aus, um zu verschnaufen, worauf augenblicklich ein anderer seinen Platz einnahm.
    In ruckartigen Zuckungen bewegte sich der Zug unter den Bäumen hindurch, deren untere Zweige im Fackelschein rot erglühten, während sich der obere Teil in Dunkelheit verlor. Das geisterhafte Dröhnen der Hohlmuscheln beschwor die Erd-und Meereskräfte, während das Pochen der großen Schultertrommeln die Nacht mit ihrem Pulsschlag erfüllte.
    Der Boden war feucht, und das Knirschen unzähliger Füße, vom Echo zurückgeworfen, klang wie das Schwirren eines Insektenschwarms. So wanderten die Männer, keuchend und stampfend, mit ihrer Last auf den Strand zu, und 506
    traumbefangen wanderte ich mit ihnen, geschoben von der Menge. Frauen trippelten in engen, buntschillernden Kimonos über den Waldweg. Die Väter hielten die Kleinkinder an der Hand, trugen die Säuglinge in den Armen. Sogar die Kinder waren geschminkt, die Lippen und Nägel rot gefärbt, mit blauen Stirnbändern und bunten Schärpen geschmückt. Ältere Frauen und Männer halfen sich gegenseitig über vorspringende Wurzeln und Gestein. Alles geschah unter kleinen Verneigungen, mit größter Höflichkeit und

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