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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Wind spielte wie Wellen auf meiner Haut. Rutschend und strauchelnd stieg ich den Hügel hoch. Der Kastanienbaum wirkte wie ein Riese, der vom Himmel her tief hinunter und tausend Jahre zurück auf die Menschen herabsieht.
    Ich trat in den tiefen Schatten, den die Krone auf den Boden warf. Da sah ich, daß der Baum gespalten war. Der Stamm klaffte wie ein offenes Tor, gab das ausgebrannte Innere, funkelnd wie Pechkohle, den Blicken frei. Jahrhunderte mußten vergangen sein, seitdem der Blitz den Stamm getroffen hatte, doch das ungestüme Baumherz schien immer noch zu schlagen. Vorsichtig trat ich näher.
    Eine Schnur aus Reisstroh, an der einige weiße Papierstreifen hingen, war um den Stamm geknotet. Ein Windstoß kam auf, das Laub warf tanzende Schatten. Es klang wie ein freundliches Wispern. Als sich die Schatten bewegten, bemerkte ich zwischen den Wurzeln einige kleinere Gegenstände. Beim näheren Hinsehen erkannte ich die einfach geschnitzte Nachbildung eines Tonis, kaum größer als ein Spielzeug. Das Holz wirkte brüchig. Neben dem Portal standen zwei Steinfiguren, mit einer Art von zerfetztem, früher wohl karminrotem Latz versehen. Sie waren altersgrau, schon mit Moos überzogen. Es waren jene Fuchsskulpturen –
    Männchen und Weibchen –, die man für gewöhnlich vor Schreinen antrifft. Das Weibchen hielt einen steinernen Schlüssel im Maul, das Männchen eine Kugel. Ich schluckte.
    »Inari… «, flüsterte ich.
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    Meine Blicke wanderten zum Baum empor. Der Wind wehte stärker. Sssst, flüsterten die Blätter. In der Dunkelheit wirkte der Stamm wie ein menschlicher Rumpf, ein wenig zur Seite geneigt. Eine Knolle beugte sich vor wie ein Kopf. Die Zweige sahen wie Haarsträhnen aus, die über ein gütiges Antlitz hingen. Die Nase war ein Fleck in der Rinde, der Mund ein Schorf, die Augenhöhlen zwei Schatten.
    Ich lächelte zu ihm empor wie zum Gesicht eines vertrauten Freundes.
    »Hilf mir!« sagte ich.
    Der Kastanienbaum bewegte die Zweige; mir war, als ob sich die Augäpfel bewegten, das Antlitz ein Lächeln andeutete. Da bist du endlich! sagte er stumm.
    Ich warte schon lange auf dich. Du weißt doch, daß wir zusammengehören.
    Ich trat näher an den Stamm, strich liebkosend über die schuppige Borke. Der Wind wehte stärker, und die Schatten verschoben sich. Das Gewebe der Dunkelheit, von unterschiedlicher Dichte, wies bewegliche Flecken auf. Das Holz gab langgezogene, knarrende Geräusche von sich. Die Zweige glichen einem schwarzen Netz, in dem sich der Rand verfangen hatte. Eine Art von rhythmischem Ziehen ging von dem Baum aus, ein Sog, der weniger die Muskeln als den Geist ergriff. Das Laubwerk zuckte im Wind, selbst der Boden schien leicht zu vibrieren.
    Ein leichter Schwindel erfaßte mich. Ich setzte mich auf den Boden, lehnte den Kopf an den Stamm, wie damals, vor langer Zeit, als ich ein kleines Mädchen war.
    Die Krone wölbte sich schützend über mich. Hoch über dem Baum glitten Wolken wie silberne Flügel dahin. Ich saß ganz still, wach und schlafend zugleich.
    »Ist dir eigentlich klar«, sagte der Kastanienbaum mit Kimikos Stimme, »daß du einer Prüfung unterzogen wirst?«
    Ich suchte mir eine bequemere Stellung.
    »Ich habe keine Angst.«
    Ein Wispern hallte durch die Dunkelheit.
    »Du bist ganz schön selbstsicher. Aber nehmen wir mal an, daß du der Belastung nicht standhältst.«
    »Darüber werde ich später nachdenken«, sagte ich.
    »Und er?« fragte der Kastanienbaum. »Meinst du, er ist stark genug?«
    Ich fröstelte. Bei jedem Atemzug fühlte ich das Dehnen und Einziehen meiner Rippen unter dem klammen T-Shirt.
    »Er ist stärker als ich.«
    »Gut«, erwiderte der Baum. »Wir werden ja sehen.«
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37. KAPITEL
    V erschlafen lag ich unter dem Baum, fühlte mich wie mit ihm verwachsen.
    Der Puls des Baumes war mein Pulsschlag, das Herz des Baumes mein eigenes Herz, sein Atem drang aus meinen Lungen. Die Kälte machte mir nichts mehr aus.
    Meine Gelenke, vom Fuß bis zum Nacken, waren locker und entspannt wie die eines Kindes. Ich spürte ein unendliches Glücksgefühl, wie ich es nur als ganz kleines Mädchen gekannt hatte, als ich, mit dem Geist eines anderen Baumes verbunden, mein Leben träumte, statt zu leben. Und die Zeit war dahingegangen, eine lange Zeit, bis ich dir endlich begegnete, das gleiche Glück in deinen Armen fand.
    Wo bist du? Warum bist du nicht hier? Doch, du bist hier. Ich fühle dich in mir, wenn ich an Dinge von früher denke. An die alte

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