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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Wasser glitzerte dunkel und kühl. Ich füllte einen Löffel und goß ihn über meine Hände; das Wasser prickelte auf meiner Haut. Es tat gut. Mit nassen Händen ging ich weiter. Außer dem Knirschen meiner Schritte auf dem Kies war kaum ein Geräusch zu hören.
    Nur Tauben gurrten im Dickicht oder schwirrten flügelschlagend empor. Ein Stückchen weiter kam das Heiligtum in Sicht. Der Schrein war auf Pfählen errichtet und mußte sehr alt sein. Im Laufe der Jahre hatte das verwitterte Gebälk eine dunkle Bronzefärbung angenommen. Das Dach aus gepreßtem Lehmstroh war stellenweise mit Moos bedeckt; die Sonne beleuchtete es schräg, und der mächtige Firstbalken glänzte wie Bernstein. Und obwohl der Schrein so schmucklos wie eine Hütte war, besaß er die Macht der heiligen Orte. Mir war, als ob aus dem dunklen Inneren etwas Lebendiges auf mich herabsah. Wieder fühlte ich ein Kribbeln auf der Haut. Neben den emporführenden Steinstufen standen zwei Säulen, darauf zwei kleine Figuren, ebenfalls aus Stein. Sie stellten ein Fuchspärchen dar. Das Männchen hielt die Pfote auf eine Kugel, das Weibchen trug einen seltsamen Gegenstand im Maul. Eine Rollschrift? Ich schüttelte den Kopf mit leichter Verwirrung, schritt zögernd die Stufen hinauf. Sie führten zu einer Plattform; hier stand ein kastenähnlicher Opferstock. Gleich dahinter war zwischen den Türflügeln ein armdickes Tau aus Reisstroh gespannt, an dem große weiße Papierzacken hingen. Im Helldunkel erblickte ich einen hölzernen Altar. Darauf stand ein flammenähnliches Gestell, ebenfalls aus Holz geschnitzt. Zwei Flammen – oder waren es Schwingen? – züngelten seitwärts empor. Ein runder Spiegel, in der Mitte angebracht, gab der Schnitzerei das Aussehen eines geflügelten Antlitzes.
    Kupferne Kerzenständer leuchteten gegen den dunklen Hintergrund. In schön polierten Opferschalen waren Orangen und getrocknete Reiskugeln zu Pyramiden aufgeschichtet. Einige Reisweinfässer, zu Ballen geschnürt und mit großen Schriftzeichen versehen, standen vor dem Altar. Es roch nach Weihrauch, Früchten und Bienenwachs.
    Während ich versunken die Gegenstände betrachtete, verschwand die Sonne tiefer hinter den Bäumen. Plötzlich schoß ein Sonnenstrahl seitwärts durch die Säulen. Der Spiegel flammte aufglühendes Licht traf meine Augen. Ein Leuchten, das in purpurnes Rot, dann in bleiches Rosa umschlug, erfüllte den Schrein. Im Inneren des Lichts, dort, wo die Helligkeit zitternd wuchs und abnahm, funkelte 74
    der Spiegel in rubinrotem Glanz. Mir war, als stünde die Welt mit einmal still, ganz still. Der Spiegel flatterte, pulsierte, als ob unter der gleißenden Fläche ein Lebewesen atmete. Doch es war nur ein Trugbild, das ein Zucken meiner Lider verscheuchte. Schon war der Sonnenstrahl weitergewandert. Das Licht wurde grau und verblaßte. Als ich erneut hinsah, war der Ort wieder genau wie vorher. Es war plötzlich dunkler geworden; nur die Kerzenständer schimmerten, und im Spiegel leuchtete ruhig und gelb der Abendhimmel.
    Ich wandte mich ab, stapfte benommen die Stufen hinunter. Ich merkte, daß meine Beine zitterten, und setzte mich auf die unterste Stufe, um mich eine Weile auszuruhen.
    Kein Zweig, kein Grashalm bewegte sich. In den Wipfeln der Bäume ließen Vögel noch leise ihre abendlichen Rufe hören, und das sinkende Licht färbte die Büsche kupfern. Das Brausen des Verkehrs drang wie ein fernes, unwirkliches Geräusch in mein Bewußtsein. Das Heiligtum glich einer Insel, verloren in Raum und Zeit, die in magischer Stille inmitten der brodelnden Riesenstadt schwebte…
    In Gedanken versunken, hörte ich Schritte auf dem Kies knirschen. Eine Kinderstimme vertrieb die Stille. Zwei Gestalten kamen den Weg hinauf: ein Mann und ein kleines Mädchen. Es mußten Vater und Tochter sein. Das Mädchen war nicht älter als acht. Sie trug eine rote Latzhose und einen weißen Pulli. Ihr Haar war hinter den Ohren hochgesteckt und mit roten Schleifen zusammengebunden.
    Den jungen, schlanken Mann mit seinen feinen Zügen konnte man fast schön nennen. Er hielt das kleine Mädchen an der Hand und sprach mit ihr in einem ernsten, vernünftigen Ton wie mit einer Erwachsenen. Das Kind hob das Gesicht zu ihm empor, plapperte unbeschwert und süß. Beide blieben vor dem Brunnentrog stehen. Der Vater tauchte den Schöpflöffel ins Wasser und leerte ihn über die Hände seiner kleinen Tochter. Diese nahm ihm behutsam den Löffel aus der Hand, vollstreckte für ihn

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