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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ich mich noch am Geländer fest, wobei ich mit bloßen Zehen jeden Stufenrand abtastete. Wie durch ein Wunder war ich von Glassplittern an den Fußsohlen verschont geblieben.
    Auf einmal hörte ich ein Geräusch, ein Stockwerk tiefer. Das Schleifen eines 100
    Kleides, Füße in hochhackigen Pumps, die sich langsam bewegten. Die Schritte stiegen hinauf, wurden lauter, fast so laut wie die Schläge meines Herzens. Ich sah einen Kopf auftauchen, ein Gesicht, Schultern. Die Frau im schwarzen Abendkleid nahm die letzten Stufen, blieb stehen, blickte ausdruckslos zu mir empor. Ich begann nervös an meinem Blazer zu fummeln. Ich wollte nicht, daß sie die zerfetzte Bluse sah. Das Dumme war nur, daß ich barfuß war, aber das ließ sich jetzt nicht mehr ändern.
    Die Frau starrte mich an; keine von uns sagte ein Wort. Schließlich brach sie das Schweigen.
    »Are you allright?« fragte sie.
    Ich merkte, daß meine Zähne klapperten, und preßte die Lippen zusammen, so daß ich nur wortlos nicken konnte. Die Frau kniff die Augen zusammen.
    »Do you need some help?«
    Endlich konnte ich sprechen. Ich sagte:
    »It’s okay.«
    »I heard some noise«, sagte die Frau. »Something wrong?«
    Ich schluckte.
    »Don’t worry. I am okay now.«
    Die Frau ließ mich nicht aus den Augen.
    »What about your friend?«
    Ich fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen.
    »Still upstairs, I guess…«
    Sie nickte vor sich hin.
    »Do you need a taxi?«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte es plötzlich eilig, wegzukommen. Die Frau wollte ihr Haus nicht in Verruf bringen. Sie würde nach oben gehen, taktvoll klopfen oder ihren Hauptschlüssel gebrauchen. Dann würde sie die Polizei rufen oder, wahrscheinlicher, sich mit einer gütlichen Abmachung zufrieden geben.
    Brechreiz stieg in mir hoch. Ich preßte die Hand vor den Mund, stolperte an der Frau vorbei. Sie versuchte nicht, mich zurückzuhalten, sondern nahm den Saum ihres Abendkleides hoch und setzte mit ruhigen Schritten ihren Weg nach oben fort. Schweißnaß rannte ich durch die Halle, stieß an einer Sofaecke an, brachte die Tür irgendwie auf. Kühle Nachtluft wehte mir entgegen. Hinter mir schnappte die Tür lautlos wieder ins Schloß, während ich im Scheinwerferlicht über die Straße lief.
    Der Regen hatte aufgehört; der Asphalt glänzte. Die Nässe unter meinen nackten Fußsohlen wirkte seltsam erfrischend auf mich. Ich fühlte mich besser.
    Am Nachthimmel jagten Wolkenfetzen dahin, darin funkelten ein paar kleine Sterne. Sie wirkten so freundlich, so ruhig. Und doch waren sie von den Flammen der Zerstörung und der ewigen Erneuerung umgeben. Ich blickte sie an, den Kopf hoch erhoben. Sie gaben mir Trost.
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    Erst jetzt fiel mir auf, wie verlassen und leer die Straßen waren. Wie spät mochte es sein? Ich hob die Uhr dicht an meine Augen. Halb vier. Tokio schlief.
    Nachtlokale und Pornoshops waren zu, alle Lichtreklamen erloschen. Nur selten fuhr ein Wagen vorbei. Wo war ich überhaupt? Ich hatte keine Ahnung, und es war mir egal. Ich wanderte wie im Traum, mitten auf der Straße. Zu beiden Seiten waren die Hochhäuser fast alle dunkel. In den Fensterfronten spiegelte sich der Nachthimmel. Wenn ich den Kopf in den Nacken warf, schienen die Glasfassaden sich vornüberzuneigen, so daß ich den Eindruck bekam, durch eine Reihe dunkler Portale zu wandern. Ruhig ging ich weiter, auf bloßen Füßen. Im Sternenlicht sah ich, wie mein Schatten neben mir herhuschte, sich ausdehnte, mich überholte. Mir war, als ob irgendein Tier, schlank und geschmeidig, lautlos an meiner Seite schlich.
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8. KAPITEL

    F ernes, richtungsloses Läuten riß mich aus dem Schlaf. Ich lag ganz still, mit verschwommenen Gedanken und matten Gliedern. Eine Zeitlang waren die Augen der einzige Teil meines Körpers, der sich bewegte. In mir war ein Gefühl tiefer Übelkeit. Mein Kopf schmerzte, jeder Muskel tat mir weh, und ich hatte entsetzlichen Durst. Am liebsten wollte ich überhaupt nicht aufwachen, mich überall verschließen, tiefer in den Schlaf sinken. Das Läuten des Telefons durchbohrte schrill und hartnäckig mein Bewußtsein. Ich wälzte mich herum, griff tastend nach dem Hörer.
    »Was? Du schläfst noch?« sagte Franca dicht an meinem Ohr. »Weißt du eigentlich, daß gleich Mittag ist?«
    Auf dem weißen Bettzeug sah ich ein paar dunkle Flecken. Eine Wunde hatte geblutet. Ich fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. Meine Stimme klang rauh und tonlos.
    »Es ist ziemlich spät

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