Silbermuschel
geworden.«
»Ich war schon weg«, sagte Franca. »Einkaufen. Um die Warenhäuser hier sollte man einen großen Bogen machen. Man verfällt in den wildesten Kaufrausch und fragt sich erst hinterher, wozu das ganze Zeug. Du solltest allmählich aufstehen. Charles holt uns ab, anschließend möchte ich noch schnell zu Peter Brunner. Und um vier fahren wir ins Theater. Du weißt doch, die Trommler.«
»Es dauert aber noch eine Weile«, sagte ich, »ich möchte mir ganz gern die Haare waschen.«
»Dann beeil dich mal«, sagte Franca.
Eine Weile preßte ich die Handballen vorsichtig auf die schmerzenden Augäpfel. Dann stand ich taumelnd auf. Ich duschte mich, wusch mein Haar und fönte es, bis es fast trocken war. Die Kopfschmerzen ließen nach; je weicher und sauberer mein Haar war, desto besser fühlte ich mich. Auf der Wunde am Halsansatz hatte sich eine Kruste gebildet, vielleicht würde eine Narbe zurückbleiben. Ich zog ein T-Shirt an, dessen Polokragen die Wunde verdeckte.
Meine Schuhe waren weg; zum Glück hatte ich ein zweites Paar mitgenommen.
Bevor ich hinunterging, sah ich ein letztes Mal in den Spiegel. Die Augen blickten träge, fast schläfrig, aber im Sonnenlicht wurden sie auf einmal so durchsichtig wie Glas.
Charles saß mit Franca in der Halle und grinste mich anzüglich an. »Wie ich höre, hast du dir mit Michael die halbe Nacht um die Ohren geschlagen.«
Ich schwieg. Ein Angstgefühl zog durch mich hindurch, ein Hauch von Angst nur, der sich gleich wieder verlor. Franca warf mir einen raschen Blick zu und drückte ihre Zigarette aus.
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»Wir sollten essen gehen. Irgendwo, wo man schnell bedient wird.«
Charles sagte, er kenne ganz in der Nähe ein Yakitori, eine Imbißstube, wo man Hühnchen am Grill essen konnte. Das Lokal, gleich in der Straße nebenan, war überfüllt. Hinter einem blauen Vorhang hörte man den Grill zischen und brutzeln.
Der Kellner brachte Bier, Hühnerspießchen und Reis in großen, blaugemusterten Schalen. Franca erzählte, daß man ihr ein Interview mit dem Leiter der Trommlergruppe versprochen habe.
»Ein gewisser Ken Miura. Er hat die Gruppe gegründet, führt Regie und spielt selbst mit auf der Bühne. Er soll sogar französisch sprechen.«
Charles bezweifelte das.
»Für gewöhnlich tun sich Japaner mit Fremdsprachen schwer. Der Mann kann womöglich nur bonjour und au revoir sagen.«
Nach dem Essen suchten wir das Messegelände auf. Peter Brunner war nicht da, aber eine Sekretärin, lächelnd und rosa gepudert, überreichte uns einen Umschlag. Die Schweizerisch-Japanische Handelsgesellschaft lud ein: Cocktail und Abschlußdinner im Imperial-Hotel. Franca steckte die Karten in ihre Handtasche.
Wir bummelten eine Weile zwischen den Ständen herum, dann wurde es Zeit, zum Theater zu fahren. Im Stoßverkehr bahnte sich das Taxi mühsam einen Weg durch die Innenstadt. Es war noch früh, aber die Sonne sank bereits. Ihre roten Strahlen drangen kaum noch hinunter bis zu den Straßen. Ich drückte den Kopf an die weißbezogene Lehne und machte die Augen zu, bis das Taxi plötzlich anhielt und ich benommen blinzelte.
»Ich glaube, ich habe ein wenig geschlafen.«
»Ja, das hast du.« Franca zeigte plötzlich mit dem Finger auf mein T-Shirt.
»Was ist das?«
Ich sah an mir herunter und entdeckte auf der Baumwolle einen kleinen roten Fleck. Die Wunde mußte wieder geblutet haben.
»Ich habe mich geschnitten«, sagte ich. »Nichts Schlimmes.«
Das Theater war altmodisch, schon ziemlich heruntergekommen. Grellbunte Plakate klebten an den Wänden. Das Foyer war mit einem dunkelroten, abgetretenen Spannteppich ausgelegt.
Die Vorstellung begann in zwei Stunden; Zuschauer waren noch nicht da. Nur eine Frau stapelte auf eine Theke die üblichen Holzkästchen mit Reisrollen, Fischhäppchen und Eierkuchen, die Zwischenmahlzeit. Daneben gab es Pommes Chips, getrockneten Tintenfisch, Süßigkeiten und Souvenirs, wie man sie in jedem Kiosk findet. Neben der Theke standen einige Tische mit Marmorplatten und ein paar unbequeme Stühle. Das Foyer diente gleichzeitig als Kassenraum. Eine Frau saß in einem winzigen Glaskasten, telefonierte und nickte dabei mit dem Kopf.
»Ich habe nicht den Eindruck, daß viele Leute kommen«, meinte Franca.
»Sonst sieht man die Japaner immer Schlange stehen.«
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»Einheimische Künstler haben es schwer«, pflichtete ihr Charles bei. »Sie müssen schon sehr berühmt sein, daß man sich für sie auf die Socken macht.«
Die Frau an
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