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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Beleuchtungskabine mit zwei undeutlichen Gestalten, die sich hinter den matterleuchteten Scheiben bewegten. Ich hörte Stimmen und wandte mich um. Einige junge Leute schleppten kleine Trommeln und Schlagzeuge auf die Bühne. Sie waren nicht älter als zwanzig, trugen dunkelblaue Leggings und kimonoähnliche Jacken aus blauweiß bedruckter Baumwolle. Ich trat zurück, um sie vorbeizulassen. Sie dankten mir mit scheuem, strahlendem Lächeln.
    Zu der Gruppe gehörten zwei Mädchen, wie die Jungen gekleidet. Eine war knabenhaft biegsam, die andere kräftig gebaut, mit stämmigen Waden. Beide trugen ein weißes Stirnband und waren schon für die Bühne geschminkt: dunkel nachgezogene Augen, purpurne Lippen und rotgepuderte Wangenknochen. Als sich unsere Augen begegneten, kicherten sie verlegen und deuteten eine Verbeugung an. Etwas abseits kniete ein Mann mit gesenktem Kopf auf dem Fußboden und wühlte in einem Sportsack. Sein Haar, mit einem roten Band am Hinterkopf befestigt, fiel weit über die breiten Schultern. Es war nicht vollkommen glatt, sondern leicht gewellt, kräftig und federnd. Er trug Jeans, ein ärmelloses graues T-Shirt und weiße Socken.
    Sakura kam mit Franca und Charles im Schlepptau auf ihn zu und sagte einige Worte. Der junge Mann sah auf, warf sein Haar aus dem Gesicht und erhob sich mit schwungvoll leichter Bewegung.
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    »Das ist Miura-san«, sagte Sakura. »Sie können französisch mit ihm sprechen.«
    Wir blickten uns an. Er trat einen Schritt zurück, ich wußte nicht, warum er das tat, doch jetzt konnte ich ihn noch besser sehen, da er so groß war. Sein jugendliches Aussehen täuschte. Die Festigkeit und Ausgeglichenheit seiner Züge zeigten, daß er älter war. Die Haut war straff und glatt, aber das Haar bereits mit grauen Strähnen durchzogen. Er trug es aus der Stirn gekämmt, es fiel immer wieder nach vorn und betonte die runden Wangenknochen, die schmalen Schläfen.
    Seine Lippen waren dunkel und etwas aufgeworfen. Er hatte flaumige Brauen, deren Spitzen sich flügelförmig aufwärts hoben, und seine Augen waren ganz erstaunlich: wie dunkler Honig, leuchtend, warm und scharf. Ich bemerkte, wie diese Augen kurz über mich glitten, alles von mir sahen und aufnahmen, von dem kleinen Blutfleck auf dem T-Shirt bis zu den bloßen Füßen in den grünen Plastikpantoffeln. Auf einmal war mir, als stehe die Zeit still. Stimmen und Geräusche rückten in weite Ferne, ich war von fremden Schatten umgeben, die kamen und gingen. Dann schnellte die Welt zurück an ihren Platz. Ich stand da und lächelte. Der Japaner erwiderte mein Lächeln, bevor er sich zur Begrüßung verbeugte. Doch seine Verbeugung war ganz anders als die, an die ich gewohnt war. Sie wirkte ungezwungen, nur angedeutet und fast parodistisch.
    »Guten Abend. Ich bin Ken Miura. Womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Auch seine Stimme klang seltsam; heiser, etwas schleppend und trotzdem klar; eine rauhe Stimme mit einem weichen Klang. Wir tauschten Visitenkarten. Er sah, daß ich keine hatte, und hob amüsiert die Brauen.
    »Ich heiße Julie«, sagte ich. Meine eigene Stimme kam mir fremd vor. Den Familiennamen sagte ich nicht, es schien mir unbedeutend. Er lächelte mich an.
    »Sagen Sie Ken zu mir.«
    »Sie sprechen aber ausgezeichnet französisch!« rief Franca, ihn mit unverhohlenem Entzücken betrachtend.
    »Ich spreche sehr gern französisch«, erwiderte Ken Miura, »leider habe ich nicht mehr viel Gelegenheit dazu.«
    »Nun, Sie haben wirklich eine sehr gute Aussprache«, setzte Charles hinzu.
    »Wo haben Sie denn Französisch gelernt?«
    »Ich habe ein Jahr in Frankreich studiert. Und Sie? Sind Sie schon längere Zeit in Tokio?«
    »Sieben… nein, acht Jahre«, stammelte Charles. »Ich bin Korrespondent des Westschweizer Rundfunks.«
    »Und wie steht es mit Ihrem Japanisch?«
    »Um ganz offen zu sein…« Charles räusperte sich und stockte. Kens Blick tanzte über Charles hinweg. Sein Lächeln wurde ausgesprochen geringschätzig.
    Das zu erwartende betretene Schweigen trat nicht ein, denn Franca bedankte sich für das Interview und fragte Ken, wann es ihm besser passen würde, jetzt oder erst nach der Vorstellung.
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    »Lieber jetzt«, meinte Ken, »solange ich noch einen klaren Kopf habe. Meine Leute wissen schon, was sie zu tun haben.«
    Er hob schwungvoll sein Haar hoch, warf einen grauweiß gestreiften Pulli über seine Schultern.
    »In der Garderobe ist kein Platz. Gehen wir ins Foyer.« Sakura entschuldigte

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