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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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immer von denen, die mir einen Stuhl unter den Hintern schieben und möchten, daß ich darauf festklebe. Nein, ich sitze auf keinem Stuhl, und erst recht nicht dazwischen. Ich stehe lieber.«
    »Und wo stehen Sie? In der Isolation? In einer Art geistigem Einsiedlertum?«
    Unvermittelt brach er in Lachen aus, warf den Kopf in den Nacken und rollte 117
    ihn hin und her.
    »Haben Sie das Gefühl, daß ich wie ein Mönch lebe?«
    »Sie sehen absolut nicht danach aus«, versetzte Franca. »Aber trotzdem: Sie sind ein Japaner, und das spielt eine Rolle. Ihre Reaktionen wurden durch Vorbildfiguren geprägt. Ich, zum Beispiel, könnte gewisse Werte und Normen niemals aus meinem Gehirn verdrängen.«
    »Möglicherweise haben Sie damit viel Last.«
    »Sie reden wie ein Analytiker.«
    Er betrachtete sie ironisch. Es lag viel Freundschaft in seinem Blick, aber sie schien unbeteiligt und distanziert.
    »Möchten Sie, daß die Kassette weiterläuft? Man könnte ja glauben, wir hätten das Interview auf einer Couch gemacht.«
    »Sie sind wirklich sehr anmaßend!«
    Er grinste noch breiter, ungerührt.
    »Ist das der Eindruck, den Sie von mir haben?«
    Auf Francas Gesicht wurden einige rote Flecken sichtbar. Sie stellte wortlos das Tonband ab.
    Jetzt trat eine endgültige Pause in dem Gespräch ein – eine Stille, die wie ein Bruch wirkte. Dann wandte Ken ein wenig den Kopf. Seine Augen trafen die meinen. Die ganze Zeit hatte ich gefühlt, wie ich zitterte. Jetzt war mir, als entzünde sich in mir ein Licht, und gleichzeitig war mein Gehirn wie in Watte gepackt, so daß ich mich ein wenig schwindlig fühlte.
    »Müde, Julie-san?« fragte er zärtlich.
    Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich schaute ihn an, als wolle ich in seine Augen tauchen. Das Blut stieg mir in den Hals, in die Wangen. Ich war fast erschrocken, wie mein Herzklopfen wuchs, so laut wurde, daß er es hören mußte.
    »Ja, sehr«, flüsterte ich.
    »Bleiben Sie noch etwas wach«, sagte er lächelnd. »In Tokio gibt es immer Leute, die wach sind, bei Tag und bei Nacht.«
    »Das ist schön«, sagte ich. »Ja, das gefällt mir…«
    Seine Augen ließen nicht von mir ab.
    »Was bedeutete das für Sie, Japan, damals in Arles?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß es nicht mehr.«
    Er lächelte immer noch, still und herzlich.
    »Gomennasai – entschuldigen Sie. Es war eine dumme Frage.«
    Noch mehr Leute kamen die Treppe hinauf, warteten vor der Kasse. Ken knotete den Pullover enger um die nackten Schultern.
    »Wir beginnen in zehn Minuten. Will mal kurz nachsehen, ob alles vorbereitet ist.« Er wandte sich Franca zu. »Im Theater sind Plätze für Sie reserviert. Sie 118
    können Ihre Kassette ruhig wieder einschalten. Ich stelle Ihnen keine Tantiemen in Rechnung.«
    »Sie sind sehr großzügig«, bemerkte sie spitz.
    Er zwinkerte ihr zu.
    »Nur, wenn ich in Stimmung dazu bin!«
    Seine Augen schweiften zu mir zurück. Er löste seine Armbanduhr und hielt sie mir hin.
    »Würden Sie mir die inzwischen aufbewahren?«
    Ich streckte stumm die Hand aus und nahm sie. Eine zierliche altmodische Markenuhr, offenbar aus Gold. Ich streifte sie über mein linkes Handgelenk. Das zerschlissene Lederarmband fühlte sich warm an; wie eine Berührung war das, eine Geste des Schutzes, als ob seine Finger mein Handgelenk mit blutwarmem Griff umfaßten. Ich drückte die Uhr an meine Haut und spürte, wie schnell mein Zwerchfell arbeitete. Ken war schon aufgestanden und wollte die Getränke bezahlen, doch Franca sagte kühl, es gehe auf ihre Rechnung. Er nickte ihr dankend zu, bevor er sich entfernte. Sein rascher Schlendergang löste das lockergeflochtene Haar; das dunkle Seil teilte sich, fiel seitwärts herab. Und wieder hatte er diese Bewegung – unnachahmlich, aufreizend –, die elastische Fülle mit beiden Händen hochzuheben und zurückzuwerfen. Die Frauen starrten ihm nach, einige ganz offensichtlich, andere verstohlen. Und dann war er weg, und Franca schwenkte auf ihrem Stuhl herum und drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus.
    »So. Den Orkan haben wir überlebt. Ganz schön routiniert, der Mann!«
    Ich sagte nichts. Ich wußte, daß sie mit ihm schlafen wollte. Jede Frau wollte ihn im Bett haben.
    Charles goß sich den Rest Bier ein.
    »So ein überheblicher Kerl! Macho-Allüren wie ein Italiener.«
    Franca holte ihren Lippenstift hervor.
    »Mit einer schöneren Haut noch dazu.«
    »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich ihm nicht auf den Leim gehen. Aber du

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