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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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hast ihn ja die ganze Zeit angestarrt. Wie ein Kaninchen einen Tiger.«
    »Nun, diesen Tiger hätte ich gern mal am Halsband geführt.« Franca sprach in den Spiegel ihrer Puderdose. »Leider hat er schon eine Beute in den Fangzähnen!«
    Ich überhörte die Anspielung, und Charles sagte: »Ich würde mich nicht wundern, wenn er über besondere psychische Kräfte verfügt.«
    »Was für psychische Kräfte?« murmelte Franca abwesend.
    »Hellsichtigkeit zum Beispiel. Vielleicht auch hypnotische Kräfte.«
    »Quatsch!« Francas Stimme klang ungehalten. »Er hat nur die richtige Chemie.
    Schon sein Anblick löst Kribbelattacken im Bauch aus. Er wäre eine Idiot, wenn er das nicht wüßte. Und er ist kein Idiot, sondern ein Monstrum an Intelligenz.«
    »Du hast dein Bestes getan«, sagte Charles sarkastisch.
    »Ja. Und offenbar vergeblich.«
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    »Mach dir keine Illusionen, mein Schatz!« Charles rekelte sich auf dem Stuhl zurecht, um mich anzusehen. »Ich kenne diese Typen, ich weiß, was die wollen; eine Ausländerin im Bett, das wollen sie. Michael könnte dir das nur bestätigen.«
    Ich sah ihn an, als hätte ich den Namen nie gehört. Mein Handgelenk klopfte.
    War es die Uhr oder mein eigener Puls? Charles starrte mich mit zunehmender Ungeduld an, bevor er endlich irritiert aufstand.
    »Zum Donnerwetter, Julie! Ich will dich nicht kränken. Sein ganzes Geschwätz ist doch nur Imponiergehabe, aber ihr Frauen seid alle gleich.« Er bewegte rotierend das Knie und zupfte an seinen Bügelfalten. »Übrigens taugen solche Männer nicht viel im Bett.«
    Franca warf die Lippen auf und betrachtete sie prüfend, bevor sie die Puderdose zuklappte und den Lippenstift in sein Etui zurückschob.
    »Mon cher«, entgegnete sie herablassend, »ich glaube kaum, daß du das beurteilen kannst.«
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9. KAPITEL
    N ach klassischem Vorbild war das Theater im Halbkreis gebaut, mit Logen an den Seitenwänden. Als Bühnenvorhang diente eine vergilbte Leinwand, mit zwei tanzenden Riesenkranichen bedruckt, deren schwarzgoldene Farben verblaßt waren. Die Zuschauer saßen auf engem Raum; für eine Millionenstadt wie Tokio war das Theater schlecht besucht; ganze Sitzreihen blieben leer. Die Zuschauer waren zumeist jung. Schlanke, elegante Gestalten mit glänzend schwarzem Haar, die sich laut unterhielten. Einige hatten noch ihren Walkman auf; viele lutschten Eiskrem oder kauten Erdnüsse. Eine Zeitlang waren wir die einzigen Ausländer, doch zuletzt schoben sich zwei junge Amerikaner durch die Sitzreihen und rekelten sich eine ganze Weile, bis sie eine bequeme Stellung gefunden hatten. Franca fummelte an ihrem Tonbandgerät. Charles saß am Ende der Reihe, studierte das Programm in englischer Sprache und erklärte uns den Inhalt, eifrig darum bemüht, das Schweigen zu überbrücken.
    »In der antiken taoistischen Gedankenwelt gab es vier Himmelsrichtungen und ein Zentrum. Jeder Kardinalpunkt wurde mit einem Element assoziiert: dem Süden das Feuer; dem Norden das Wasser; dem Osten das Holz; dem Westen das Metall; das Zentrum bildete die Erde. Die Japaner haben den chinesischen Grundgedanken übernommen. Hier steht, daß die Musikinterpretationen diese fünf Elemente zum Ausdruck bringen wollen. Ich bin dagegen«, sagte er, als erteile er eine Lektion.
    Ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Wogegen war Charles? Es betraf offenbar das Programm. Ich fragte mich, was er damit zu tun hatte.
    »Mir scheint das Thema zu elitär. Miura bemüht sich offenbar, Metaphysik als Ware zu verhökern. Aber wenn das Szenisch-Bildhafte nicht überzeugt, wird alles zur Las-Vegas-Show.«
    »Als cleverer Geschäftsmann wird er schon wissen, wie man heiße Esoterik auf den Markt bringt«, erwiderte Franca, gewiß, daß ich jedes Wort hörte. »Es gibt genug Leute, die glauben, daß sie tiefer sehen als andere.«
    Es dauerte eine Weile, bis mir überhaupt klar wurde, wovon sie redeten; nicht einmal das interessierte mich. Ich hatte immer noch dieses dumpfe Gefühl im Kopf und nicht die geringste Lust, mich zu rechtfertigen. Mitten in diesem Theater voller Menschen verkroch ich mich in mich selbst, allein mit meinen Empfindungen. Ich schwieg, die Uhr eng an mich gedrückt. Mein kostbares Pfand. Mein Talisman. Es genügte, daß ich die Augen schloß; bei jedem Atemzug fühlte ich den ungewohnten Druck des Armbands um mein Gelenk. Als ich sie betrachtete, stellte ich fest, daß sie wirklich alt sein mußte. Der winzige Goldzeiger war um viertel nach acht stehengeblieben.

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