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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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an. Ich jedenfalls empfinde das so.«
    Er betrachtete sie intensiv, wobei er die nackten Arme leicht über den Knien faltete.
    »Wovor haben Sie Angst?« fragte er unvermittelt.
    Sie stutzte und hielt die Zigarette hoch. Ich sah, wie ihre Hand mit den roten Fingernägeln leicht zitterte.
    »Möchten Sie, daß ich Angst habe?«
    »Nein, das möchte ich nicht«, antwortete er ruhig. »Aber oft stützt sich unser Denken auf abstrakte Begriffe, so daß wir Ursache und Wirkung nicht auseinanderhalten und äußere Einflüsse mit Wahnvorstellungen verwechseln.«
    Franca sah plötzlich gereizt aus.
    »So? Ich, für meinen Teil, glaube meine Neurosen ziemlich gut im Griff zu haben. Wenn ich Angst habe, dann im Flugzeug. Und zwangsläufig habe ich auch Angst vor Einbrechern. Oder auch davor, daß ich in einer Tiefgarage überfallen werden könnte.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das sind konkrete Ängste. Die bleiben hinter der Tür, wenn man den Riegel davorschiebt. Ich spreche von der Angst, die in uns selbst steckt. Sie ist der dunkle Kern in uns. Eine geschlechtliche Erregung und gleichsam ein finsteres Chaos. Die Medien schüren diesen Impuls; unsere Schrecken werden konsumgerecht vermarktet, im Kollektiv ausgebeutet. Ein französischer Schriftsteller, dessen Name mir entfallen ist, beschreibt diesen Zustand sehr treffend.«
    Er suchte die Worte in seiner Erinnerung, sprach sie langsam und kehlig aus.
    Von neuem fiel mir auf, was für eine erstaunliche Stimme er hatte. Eine Stimme wie rauher Samt; eine Stimme fürs Dunkel.
    »›Die Verdammnis an sich ist unbedeutend. Die Qual des Verdammten besteht in einem endlosen Abstieg in das Laster und das Verbrechen. Die Seele, verhärtet und verdorben, sinkt zwangsläufig von Minute zu Minute tiefer in die Bosheit, der Ewigkeit entgegen‹. Das ist es, was ich meine.«
    Ein Schauer überlief mich. Seine Worte weckten die mysteriösen Schatten, die tief in meiner Brust schliefen. Sie waren immer da, manchmal verzogen sie sich ein bißchen, dann tauchten sie wieder empor. Auch Franca stutzte betreten. Dann sagte sie:
    »Sie sind ein Pessimist. Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht.«
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    »Berufen Sie sich nicht zu sehr darauf«, erwiderte er lächelnd.
    Franca lächelte zurück. Ihr Rock war wie unabsichtlich höher gerutscht; man sah die Spitzenborte ihrer Strümpfe.
    »Nun, auch die Brüchigkeit unseres Lebens hat ihren Reiz. Der Weltuntergang kann sehr anregend sein.«
    Kens Blick tanzte belustigt über einige Zentimeter von bloßer, wachsweißer Haut.
    »Excita, Domine, potentiam tuam, et veni, ni salvos hilft uns nicht weiter«, sagte er.
    Charles sah ihn verdutzt an.
    »Könnte das nicht Latein sein?«
    Ken sagte: »Erraten!« und grinste.
    »Bewege, Herr, Deine Macht und komme uns retten«, übersetzte Franca erstaunt. »Wie kamen Sie ausgerechnet als Japaner dazu, Latein zu lernen?«
    Er verzog spöttisch den Mund.
    »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber es fällt mir immer schwer, auf solche Fragen einzugehen. Ich könnte Ihnen jetzt erzählen, wie die lateinische Sprache im sechzehnten Jahrhundert nach Japan kam, als portugiesische Missionare sich bei dem Versuch, uns zu bekehren und zu kolonialisieren, die Zähne ausbissen. Aber ich sträube mich einfach, das zu sagen, was Sie von mir erwarten. Sehen Sie, ein Großteil der Europäer – von den Amerikanern ganz zu schweigen – hat eine sehr stereotype Vorstellung von uns. Nur weil ich ein Japaner bin, wollen Sie mir eine Antwort suggerieren und sind enttäuscht, wenn ich Ihnen eine andere abliefere.
    Warum soll ich da meine Zeit vergeuden?«
    Eine leichte Röte überzog Francas Gesicht. Aus beruflicher Gewohnheit sprach sie wie in Untertiteln: Werdegang, Anliegen, Aussage. Aber Ken entzog sich dem üblichen Worthandwerk, flüchtete in das Undeutliche, das Schwebende; dem Ansturm der Neugierde setzte er Ironie entgegen. Er lehnte es ab, daß jemand sich an sein innerstes Selbst heranmachte, ließ sich auf das konventionelle Frage- und Antwortspiel nicht ein. Franca bemühte sich, den Gesprächsfaden nicht loszulassen, folgte ihm Wort für Wort wie auf einer Wanderung ins Ungewisse, besorgt, wo sie wohl ankommen würde, und beunruhigt, daß er denken könnte: Die versteht mich nicht.
    »Ich kann Ihr Bestreben, vorgefaßten Meinungen aus dem Weg zu gehen, nur unterstützen. Aber riskieren Sie nicht dabei, zwischen zwei Stühlen zu sitzen?«
    Ken ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
    »Den Vorwurf kenne ich. Er kommt

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