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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ich überlegte, ob ich sie aufziehen sollte, als sich das Licht langsam verdunkelte. Die Leinwand glitt auseinander, gab die schmucklose Bühne frei, die in Silber- und Grauschattierungen vor uns lag. Aber gleichzeitig hatte die dunkle, durchscheinende Luft auch eine eigenartige Klarheit. Von dem 121
    Streifen eines Scheinwerfers angestrahlt, lösten sich die Umrisse von acht jungen Männern aus dem Hintergrund. Sie trugen dunkle Leggings, Kimonojacken und ein weißes Stirnband. Jeder hatte eine größere Trommel vor sich, mit Hanfseilen bespannt; jeder hielt zwei Schlegel in den Händen. Nun standen sie in einer Reihe, schattengleich und völlig regungslos, als ob sie ihre Kräfte sammelten. Die Zuschauer im Saal räusperten sich, scharrten mit den Füßen, dann trat völlige Stille ein. Ich konnte nicht sagen, wie lange diese Periode des Schwebens, des Dahintreibens dauerte. Ich sah nur zwischen dem einen Hinsehen und dem nächsten, wie die Bühne immer dunkler wurde, während sich meine Rippen bei jedem Atemzug dehnten und einzogen, und mein Herz im Zentrum zitterte wie ein Vogel. An einem bestimmten Punkt bemerkte ich, daß kein Unterschied mehr zwischen der Dunkelheit im Saal und der Dunkelheit auf der Bühne bestand und die Finsternis sich wie ein Sternennebel vor meinen Augen drehte.
    Ein purpurner Blitz zuckte auf. Die Bühne, flammend erleuchtet, explodierte wie ein Kraterkessel. Das Donnern der Trommeln fegte wellengleich durch das düstere Rot, schwoll in Sturzbächen an, wie glühende Lava. Der Boden erschauerte unter den gewaltigen Stößen, feuerblinkende Augen zuckten über die Wände. Die Musiker auf der Bühne standen reglos wie zuvor; nur ihre Arme hoben und senkten sich im wirbelnden Rhythmus; und während die Schlegel auf das Trommelfell prasselten, loderten die Flammen, und die Hitze schien in weitem Umkreis zu flimmern. Es war, als begänne jede Substanz zu glühen; und doch waren es nur die Vibrationen der Trommeln, die wie Ölflammen über die Bühne rasten. Ich spürte, wie die Flammen höher schlugen, wie Funken in meine Seele sprühten. Ich hörte, wie die Welt zitternd lebendig wurde, lebendig wie ein Körper. Die Schöpfungsfeuer schwelten im Herzen der Erde, bis endlich – Jahrtausende später
    – das Donnern und Brodeln sich in dumpfes Summen verwandelte, zum geflügelten Wispern wurde, endlos auf- und abschwellend. Die Töne zitterten wie kleine Wellen, sachte, sachte, bis alle Flammenbündel in sich zusammensackten, zu Funkengarben zersprühten, die ein Strom erhitzter Luft immer weiter, immer höher trug, in jene geheimnisvollen Gefilde, wo die Wolken entstehen.
    Ich merkte kaum, wie die Trommler die Bühne verließen, wie eine zweite Gruppe mit kleineren Stehtrommeln aus dem Lichtnebel trat. Sie schien nicht aus den Kulissen zu kommen, sondern wie aus der Luft selbst geboren – als wäre die Luft ein Schattendach, über dem das Morgenrot des ersten Tages ihr Nahen ankündigte. Und wieder entstand ein Augenblick der Stille, bis plötzlich über den Wolken ein Ruf ertönte – hell und vogelgleich. Eine Stimme sprach das Zauberwort, den Befehl, der die Wasser des Himmels auf die Erde leitete, um sie zu befruchten. Die Schlegel hoben sich, berührten das Trommelfell. Ein Geräusch ertönte, seidig, plätschernd, das Geräusch fallender Regentropfen, rieselnd und sprühend wie schimmerndes Silber. Die Musiker standen unbeweglich wie schwarze Säulen. Einzig ihre Hände bewegten sich, geschmeidige, kräftige Hände, 122
    und unter den tanzenden Schlegeln rieselte das Wasser. Zwischen Einbildung und Traum wogten die Regenmassen von den Berggipfeln heran, schwebten durch die Luft in die Tiefe. Das Wasser rieselte und tropfte, sickerte durch sprießendes Gras und perlte von Blatt zu Blatt auf die feuchte Erde nieder, während Irrlichter wie verwunschene Geister im Nebel tanzten. Nein, es waren Fackeln, die dort brannten.
    Bäume tauchten schemenhaft durch den Dunst; Mondschein fiel herab wie ein blaues Tuch. Die Trommeln schwiegen; der Klang einer Flöte schwang sich durch die Stille. Der windgeborene, zarte und sehr hohe Ton war wie der Ruf eines Vogels in der Abendstille, wie das Knistern des Schilfes im Regen. Die Bambusflöte, aus dem Baumherz geschnitzt, war die Stimme der Pflanzen, wenn sie die Götter rufen, jetzt wurde auch die Gestalt sichtbar, deren Lippen und Hände das Wundergebilde aus Tönen webten. Ein Junge war es, dunkel gekleidet, mit einem Profil von wunderbarer

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