Silbermuschel
bilde mir überhaupt nichts ein.«
Er grinste und sprach weiter.
»Kurzum, endlich konnten wir starten. Im ersten Jahr hatten wir fünf Schüler, im zweiten bereits zwölf. Musikstudenten, natürlich, aber auch Leute aus ganz anderen Berufskreisen. Ausländer hatten wir auch. Vor drei Jahren waren zwei Schweizer dabei, und im letzten Jahr hatten wir Shirley, eine Engländerin von der Londoner Musikhochschule. Jetzt ist Eric bei uns, ein Belgier, der auf der Shakuhachi-Flöte genial ist. Er ist zur Zeit in Europa, wird aber in ein paar Tagen wieder da sein. Zu meinem Konzept gehörte, unsere Schule durch Gastspiele in Japan und im Ausland zu finanzieren. Den Verwaltungskram durchblickte ich ziemlich schnell, aber alles andere lernt man nicht aus einem Buch. Einer meiner Freunde arbeitet als Regisseur beim Fernsehen. Ich half bei einigen Inszenierungen mit und lernte, mich mit den Raumproblemen eines Theaters auseinanderzusetzen.
Die Trommelkunst ist ja sakral. Ich kam allmählich soweit, das Theater als Ort des Imaginären, als Heiligtum zu sehen, auch für die Nicht-Gläubigen. Wenn es eine 114
Raumintensität gibt, funktioniert das alles. Das ist die Macht der O-Daiko. Weil sie so erotisch ist, wissen Sie. Wir nennen unsere Gruppe Herzschlag. Der Rhythmus will gelernt sein. Aber wenn der Trommler spielt, muß er den Rhythmus vergessen.
Die Vollendung des Trommelns besteht darin, daß kein Gedanke mehr an Ich und Du, an die Trommel und den Schlegel, und wie er zu führen sei, das Herz bekümmert. Daß der Spieler, die Trommel, der Schlegel und der schlegelführende Arm eins werden. Der Trommler spielt nicht mehr. Es spielt.«
Die honigbraunen Augen glitten zu mir herüber, doch nur für eine Sekunde. Ich betrachtete flüchtig Kens Gesicht, diese kräftigen und doch so weichen Linien: Wieder spürte ich in mir, ruhelos heiß, die kleinen, pulsierenden Flammen.
Ich weiß, was ich will. Ich will in deinen Armen schlafen.
Charles brach das Schweigen in seiner gönnerhaften Art.
»Sie werden zugeben, daß wir uns sehr bemühen, Ihnen zu folgen. Aber klingt das nicht ein bißchen nach Fopperei?«
Ken schien nicht im geringsten gekränkt. Das Lächeln, das so amüsiert-
überlegen und fast herablassend war, zeigte sich auf seinen Lippen.
»Ich weiß. Aber das macht nichts.«
Charles öffnete wieder den Mund, aber Franca schnitt ihm das Wort ab.
»Tu mir den Gefallen, Charles, misch dich hier nicht ein. Es ist mein Interview.
Trink lieber noch ein Bier!«
Sie zupfte an ihrem Minirock und sagte zu Ken:
»Vermutlich ist alles nur eine Sache der Konzentration. Mit Konzentration kann man alles.«
»Wenn Sie sich konzentrieren«, antwortete Ken, »schalten Sie Ihr Bewußtsein ein. Das können Sie auch, wenn Sie in Ihrem Büro Ihren Terminkalender studieren.
Der Zustand, den wir anstreben, ist eigentlich ein Urzustand: Wir denken nicht mehr. Wir folgen dem Herzschlag in uns, der ja selbst nur ein Schwingen ist, fügen uns selbstvergessen in ein Geschehen, dessen äußerer Vollzug sich wie von selbst abspielt und keiner Überlegung mehr bedarf.«
Er saß entspannt vor ihr, die langen Beine von sich streckend. Sein amüsierter Blick schien zu sagen: Was wird der Frau jetzt noch in den Sinn kommen?
Und gerade diese Unbefangenheit war es, die Franca verwirrte. Im Gegensatz zu Charles glaubte sie wohl zu spüren, was er meinte; aber etwas spüren und es wissen und auch verstehen können, das ist zweierlei. Und außerdem regte er sie auf, er reizte sie nahezu, und das störte sie beim Denken. Ich merkte es an der Art, wie ihr Blick über seinen Körper glitt; wie sie seine lockeren, ungezwungenen Bewegungen betrachtete und ganz besonders die Art, wie er sein Haar aus dem Gesicht schob oder zurückwarf. Er spielte mit seinem Haar, wie Frauen es manchmal tun, selbstvergessen und ohne die geringste Affektiertheit. Und das machte die Frauen verrückt. Vielleicht konnte er nichts dafür, und Franca mußte sich selbst die Schuld geben. Aber es war nun einmal so.
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»Ich glaube«, sagte sie, »wir sollten solche Darbietungen wie einen Trip oder einen Rausch genießen und uns lieber keine Gedanken machen über das, was uns da ergreift…«
»Warum eigentlich nicht?« fragte er belustigt. Die braunen Augen schienen schlicht und offen zu ihr zu sprechen, in einer Sprache, die sie nicht kannte.
»Nun ja… vielleicht läßt man manche Dinge besser im Dunklen. Sobald sie ins Bewußtsein dringen, richten sie nur Verwirrung
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