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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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er. »Einen Tag ein Jahrzehnt? Ein halbes Jahrhundert?«
    Der Vampir lächelte und hob die
Schultern. »Wie lange hätten Sie vorher gelebt, wenn Ihr Leben nicht
unterbrochen worden wäre? Nur jene, die sich hinter dem Schleier des Mysteriums
befinden, besitzen dieses Wissen.« Er zupfte an den Ärmeln seines eleganten Mantels
und näherte sich dem Bett.
    »Ich muß bald gehen und mich auf die
Jagd begeben«, sagte er und legte eine seiner alabasterfarbenen Hände auf
Aidans Stirn. »Sie werden mit der Zeit vergessen, was Sie waren, und eines
Tages werden Sie sogar jene auslachen, die an Wesen wie Vampire und Magier
glauben.«
    Aidan ergriff die leichenähnliche
Hand mit seinen eigenen, warmen Fingern und bemühte sich vergeblich, sie
fortzuschieben. »Warten Sie — da ist eine Frau — ich muß sie finden ...«
    »Sie werden immer Aidan Tremayne
sein«, entgegnete das Ungeheuer. »Obwohl Ihr Hirn das Bild der Frau bald aus
Ihrem Bewußtsein verbannen wird, wird es in Ihrem Herzen weiterleben.«
    »Aber ...«
    »Es ist geschehen«, erklärte der
Vampir ruhig, dann war er fort, und Aidan versank in einen tiefen Schlaf.
    Am nächsten Morgen nahm er zum
erstenmal seit zwei Jahrhunderten feste Nahrung zu sich und fragte sich, was
ihn so begeistern mochte an Milch und fadem schwarzem Tee. Wilde, makabre
Bilder jagten sich in seinem Hirn; er erzählte der hübschen Krankenschwester,
er hätte in der Nacht zuvor von einem Vampir geträumt, der ihn in seinem Zimmer
aufgesucht hatte, und sie schüttelte den Kopf und sagte, das menschliche Gehirn
sei wirklich ein recht merkwürdiges Organ.
    Aidan mußte ihr zustimmen, zumindest
insgeheim, aber er bewahrte auch noch ein anderes Bild in seinem Gedächtnis
auf, das Bild einer schönen Frau mit kurzem Haar und großen schönen Augen. Er
wußte, daß sie Neely hieß, aber das war auch alles, woran er sich erinnerte.
Ein wahres Wunder, wenn er bedachte, daß er seine eigene Identität dem Päckchen
Ausweispapiere hatte entnehmen müssen, das eines Nachts, während er schlief,
auf seinem Nachttisch aufgetaucht war.
    Er wurde zunehmend kräftiger in den
darauffolgenden Tagen, und sein Verstand fabrizierte eine recht komplizierte,
aber glaubwürdige Geschichte für ihn. Bald glaubte Aidan alles, was sein Gehirn
ihm vorspiegelte, ja, er war sich sogar sicher, sich genauestens an die
entsprechenden Erfahrungen zu erinnern.
    Er war allein auf der Welt, der
einzige Sohn irischer Eltern, die schon vor langer Zeit verstorben waren. Er
besaß Geld, eine prächtige Villa außerhalb von Bright River in Connecticut, und
er war ein berühmter Künstler.
    Gewisse Geheimnisse blieben jedoch.
Aidan wußte noch immer nicht, wo er gewesen war, bevor er in jenem Kreis uralter
Steine, mitten im Schnee nackt wie ein Neugeborenes, gefunden worden war. Die
Polizei war genauso ahnungslos wie er, aber nach einer Weile gaben sie es auf,
ins Krankenhaus zu kommen und ihn zu befragen. Zweifellos hatten sie ihn als
psychisch Kranken abgeschrieben, und Aidan mußte zugeben, daß es genügend
Gründe dafür gab.
    Er verließ die Klinik in geborgten
Sachen, kaufte sich Kleidung, Koffer und Toilettenartikel. Nachdem er eine
Nacht in einem Londoner Hotel verbracht hatte, nahm er ein Taxi zum Flughafen
und kehrte in die Vereinigten Staaten zurück.
    In New York mietete er einen Wagen
und fuhr nach Bright River.
    Gleich nach seiner Ankunft dort
begab er sich zu seinem großen Haus am Stadtrand. Ich hatte es nicht so düster
in Erinnerung, dachte er, als er von Raum zu Raum ging und die schweren
Samtportieren zurückzog, um den Sonnenschein hereinzulassen.
    Der Schnee schmolz bereits, der
Frühling war nicht mehr weit. Aidan öffnete die Fenster, um frische Luft
einzulassen.
    Leise vor sich hinsummend ging er in
die Küche. Nach seinem kargen Frühstück auf dem Londoner Flughafen war er
jetzt sehr hungrig.
    Er öffnete einen Schrank nach dem
anderen und stellte verwundert fest, daß in allen gähnende Leere herrschte.
Keine Konservendosen, kein Geschirr, kein Besteck — nicht einmal einen
Salzstreuer entdeckte er.
    Verwirrt hob er die Schultern, nahm
eine Lederjacke aus einem der Schlafzimmerschränke und verließ das Haus. Etwas
weiter unten an der Straße befand sich eine Raststätte; Aidan glaubte, sich
erinnern zu können, daß er bereits einige Male dort gegessen hatte.
    Er ging zu Fuß, die Hände in den
Jackentaschen, und versuchte, sich Mut zu machen. Denn obwohl die Ärzte in
London behauptet hatten, daß

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