Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
bereit
dazu, London zu verlassen und mir irgendwo ein neues Leben aufzubauen. Ich
werde mich bei dir melden, sobald ich meinen Platz gefunden habe.«
Wendy drückte ihre Hand. »Du wirst
es schaffen, Neely. Du bist der tapferste und zäheste Mensch, den ich kenne.«
»Danke«, sagte Neely, weil sie
wußte, daß ihre Freundin es ehrlich meinte, aber sie selbst konnte noch nicht
so recht daran glauben. Die Tage und Nächte, die vor ihr lagen, erschienen ihr
grau und leer — denn so gern sie es auch ignoriert hätte, blieb die Möglichkeit
bestehen, daß Aidan nie wieder zu ihr zurückkehren würde.
Sie weinte auf dem ganzen Heimweg im
Taxi und verbrachte die halbe Nacht damit, einen Brief an Aidan zu verfassen.
Sie schrieb, daß sie ihn liebte, ihn immer lieben und auf ihn warten würde,
sogar im nächsten Leben noch, falls es nötig war.
Neely stellte den Brief am nächsten
Morgen auf den Kaminsims in der Gemäldegalerie, unter eins von Aidans Bildern,
verabschiedete sich von Mrs. F. und setzte sich in ein Taxi zum Flughafen.
Achtzehn
Vier Tage und drei Nächte lang lag Aidan
auf der steinernen Grabplatte, so reglos und bleich, als ob er tot wäre.
Valerian suchte ihn im Geiste auf, um über ihn zu wachen, und blieb so lange
bei ihm, wie es seine begrenzte Energie erlaubte, bevor er wieder in seinen
zerstörten, unbehaglichen Körper zurückkehrte, um sich zu sammeln. Die
Ältesten erschienen alle vierundzwanzig Stunden, stets bei Nacht, um den
goldenen Kelch mit Blut aus ihren Handgelenken zu füllen, wie sie es schon bei
jener ersten Gelegenheit getan hatten. Das einzige Lebenszeichen, das Aidan je
von sich gab, war, wenn er seine Lippen öffnete, um aus dem Kelch zu trinken.
Jede Nacht, während Valerian seine
hilflose Wache hielt, entstand ein neuer Riß in seinem Herzen. Er hätte gern
des Geliebten Platz auf diesem kalten Bett aus Stein eingenommen, seine
Schmerzen ertragen und seine Angelegenheit vertreten, in jener anderen,
mystischen Welt, wo ein Teil von Aidan zu wandeln schien. Doch keine dieser
Möglichkeiten stand Valerian offen; er konnte nichts anderes tun als warten.
Am Abend des vierten
Sonnenuntergangs war Valerian schon in der Höhle, bevor die Ältesten
erschienen. Er trat an Aidans Lager, aber eine kalte Wand schien seine reglose
Gestalt zu umgeben, die jetzt so starr und bleich war wie eine Leiche. Valerian
zog sich erneut zurück und verfluchte zum erstenmal seit seiner Erschaffung
seine Vampirtalente. Rauch und Spiegel, dachte er wütend. Was nützen
mit schon meine Tricks und meine Geheimnisse, wenn ich Aidan damit nicht wieder
zum Leben erwecken kann?
Die anderen erschienen, einer nach
dem anderen, ernst und würdevoll. Sie beschrieben einen Kreis um Aidan und
hoben ihn dann gemeinsam auf.
Das riß Valerian aus seiner wütenden
Träumerei; er eilte zu Aidan zurück und flimmerte über seiner nackten Taille
wie eine Feuerfliege.
Warte, sagte er zu Tobias, als er keinen
Kelch in den Händen der uralten Vampire sah. Etwas hatte sich geändert, das
Ritual hatte eine neue Stufe erreicht. Was macht ihr? Wohin bringt ihr ihn?
Wir können nichts mehr für ihn tun, sagte Tobias lautlos. Der
Sonnenschein wird sein letzter Richter sein.
Valerian war fassungslos. Was?
Wir werden ihn an einen Ort legen,
der den Sterblichen einst heilig war. Wenn er den Sonnenaufgang überlebt, ist
seine Transformation komplett. Falls er jedoch nicht verwandelt werden kann
und unsere Bemühungen erfolglos waren, wird er zerstört werden.
Valerian wurde selbst zum Schrei,
den er, körperlos, wie er war, nicht ausstoßen konnte. Nein!
Es wird so geschehen, erwiderte
Tobias, und im nächsten Augenblick waren sie alle verschwunden — Tobias, die
anderen Ältesten und Aidan.
Valerians Kraft ließ nach, sein
Körper beanspruchte zuviel davon, weil er entschlossen war, sich zu erneuern.
Aber Valerian gab nicht auf und bot seinen ganzen Willen auf, um den Ältesten
und ihrer besinnungslosen Last zu folgen.
Die schaurige kleine Gesellschaft
versammelte sich im Mittelpunkt eines Kreises aus uralten Pfeilern, nicht weit
entfernt von Stonehenge. Mondschein erhellte das zerfallene Monument einer
längstvergessenen Gottheit und verwandelte den Schnee in schillerndes Silber.
Aidan rührte sich nicht, als die
Ältesten ihn ins exakte Zentrum jenes Rings aus gigantischen Steinpfeilern
legten und zurücktraten, um dann langsam zu verblassen, bis sie verschwunden
waren.
Valerian stieß einen stummen Schrei
aus, erbebte
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