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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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waren, und auf dem Boden lagen
Teppiche, aus denen bei jedem Schritt eine Wolke von Staub aufstieg.
    Canaan stellte sich neben der Orgel
auf, während Roxanne sich an die abgenutzte Klaviatur setzte. Aubrey ließ sich
in einem Ledersessel nieder und zog Benecia auf seine Knie, wie es ein
menschlicher Vater in dieser Situation vielleicht getan hätte. Während Aidan
sich widerstrebend auf eine Sessellehne hockte, fragte er sich, warum seine
Schwester freiwillig ihre Zeit mit solchen Ungeheuern verbrachte.
    Die jüngere Tochter, die Aidan nur
knapp bis an die Taille reichte, legte ihre weißen Hände zusammen und begann
mit beängstigender Genauigkeit Shakespeares Gedicht >Venus und Adonis< zu
rezitieren. »Ich kann auch >Lucretias Schändung< aufsagen«, bemerkte sie,
nachdem sie das Gedicht beendet hatte.
    »Setz dich, Liebes«, forderte
Roxanne sie zärtlich auf. Aidan saß so still und unbeweglich, als ob er jeden
Augenblick die Flucht ergreifen wollte.
    Benecia glitt von Aubreys Schoß und
trat vor die kleine Gesellschaft. Sie und ihre Mutter berieten sich flüsternd,
dann schlug Roxanne einen Akkord an, und Benecia begann zu singen.
    Das Lied selbst, obwohl Benecia in
Latein sang, war nichts Besonderes, es handelte von Singdrosseln, Weiden und
glitzernden Bächen. Aber die Stimme der Kleinen verblüffte Aidan, denn sie war
so klar und tragend, daß sie den Raum erfüllte wie das Rauschen eines riesigen,
unsichtbaren Bachs.
    Als die Darbietung beendet und die
letzte Note verklungen war, applaudierte Aidan, was ihm einen vorwurfsvollen
Blick von Canaan eintrug. Ihr hatte er nach ihrem Vortrag keinen solch
förmlichen Beifall gezollt.
    Roxanne verließ ihren Platz an der
Orgel und sammelte ihre Töchter um sich. »Kommt, Kinder — es bleiben uns noch
einige Stunden Zeit zum Jagen«, sagte sie im gleichen Ton, den eine sterbliche
Mutter benutzt hätte, um ihre Nachkommenschaft zu einem Einkaufsbummel
aufzufordern. »Verabschiedet euch von Mr. Tremayne.«
    Mit sichtlichem Widerstreben
knicksten Benecia und Canaan vor Aidan, dann liefen sie zu Aubrey und küßten
ihn auf die bleichen Wangen. »Gute Nacht, Papa«, sagten sie zärtlich, bevor sie
ihrer Mutter in die Halle hinaus folgten.
    »Halte ich Sie von irgend etwas ab?«
fragte Aidan, als er und Aubrey allein in dem seltsamen Gemach zurückblieben.
Das Zimmer könnte aus einem Roman von Charles Dickens stammen, dachte er, das
einzige, was hier noch fehlte, war ein von Ratten angefressener Kuchen und eine
verrückte alte Frau in einem zerlumpten Hochzeitskleid.
    Aubrey lehnte sich in seinem Sessel
zurück, als Aidan an den Kamin trat, auf dem unter einem dichten Netz von
Spinnweben verborgen eine alte Uhr stand.
    »Nein«, erwiderte Havermail mit
einem nachdenklichen Blick auf seinen Gast. »Ich habe schon vor einigen Stunden
gespeist und kein Verlangen danach, mich vollzustopfen, wie es meine Frau und
meine Töchter häufig tun. Aber sagen Sie mir doch, Mr. Tremayne — was genau
wollen Sie eigentlich von mir?«
    Aidan fuhr sich mit gespreizten
Fingern durch das Haar. »Ich hörte Ihre ältere Tochter sagen, daß Sie vor etwa
fünfhundertvierzig Jahren zum Vampir wurden, als Sie einer geheimen Bruderschaft
beitraten und sich den Einführungsriten unterzogen.«
    Havermails Züge verdüsterten sich,
einen Moment lang schürzte er ärgerlich die Lippen. Ganz offensichtlich hatte
die reizende, boshafte Benecia zuviel gesagt. »Was interessiert Sie an der
Bruderschaft?« fragte er nach einem langen, unbehaglichen Schweigen. »Da Sie
bereits ein Vampir sind, ist es wohl ziemlich ausgeschlossen, daß Sie
Unsterblichkeit anstreben.«
    Aidan bemühte sich, seine Worte mit
äußerster Sorgfalt zu formulieren. »Was ich anstrebe, ist Sterblichkeit«, sagte
er dann. »Mit anderen Worten — ich möchte mich in einen Menschen
zurückverwandeln.«
    Nach einigen Sekunden verblüfften
Schweigens brach Havermail in hemmungsloses Gelächter aus. »Das kann doch
nicht Ihr Ernst sein!« sagte er dann, als er sich ein wenig von seinem Heiterkeitsausbruch
erholt hatte.
    »Nichts war mir bisher ernster«,
entgegnete Aidan ruhig. »Mein Leben ist mir gestohlen worden. Ich möchte die
vierzig oder fünfzig Jahre haben, die mir noch zugestanden hätten.«
    Aubrey stand auf. Sämtliche Spuren
von Belustigung waren aus seinen aristokratischen Zügen verschwunden. »Wer hat
Sie in einen Bluttrinker verwandelt?«
    Aidan zögerte. »Ein mächtiger
weiblicher Vampir namens Lisette.«
    Havermail

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