Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
er
erwachte, war ihm ganz übel vor Schwäche.
Er hatte auf dem Bauch gelegen, doch
als er eine weitere Anwesenheit spürte, rollte er sich rasch auf den Rücken.
Tobias hockte neben ihm und grinste.
»Sie scheinen sich sehr schlecht zu fühlen«, bemerkte er und ließ seinen Blick
über Aidans schmutzige Uniformjacke, die Reithosen und Reitstiefel gleiten.
»Und ihre Aufmachung, alter Junge, beweist sehr schlechten Geschmack.«
Aidan setzte sich mühsam auf. Falls
Tobias gekommen war, um ihn zu zerstören, war er verloren.
»Was wollen Sie von mir?«
Tobias erhob sich. Seine Kleidung
stammte aus dem Mittelalter — er trug enganliegende Beinkleider, eine lange
Tunika und Lederschuhe, die sich an den Spitzen aufwärts bogen. »Sie glaubten
doch wohl nicht, mit der Bruderschaft fertig zu sein, nur weil Roxanne
Havermail Sie in ihr Schloß gebracht hat? Hören Sie, Aidan, dies ist kein
Märchen, und es bestehen gute Aussichten, daß dies alles kein glückliches Ende
nehmen wird.«
»Falls Sie versuchen, scharfsinnig
zu sein«, entgegnete Aidan, »ist es Ihnen nur zum Teil gelungen. Kommen Sie zur
Sache!«
Tobias lachte. »Sie sind wirklich
sehr dreist. Aidan — was einerseits Ihr größter Vorteil und andererseits Ihr
schlimmster Fehler ist. Sie sollten sich etwas mehr zusammennehmen, falls Sie
sich eine positive Entscheidung des Tribunals erhoffen.«
Aidan stand langsam auf, aber er
schwankte, und Tobias stützte ihn. »Welches Tribunal?«
»Man könnte sagen, daß es das
Oberste Gericht der Vampire ist«, antwortete Tobias. »Sie interessieren sich
für Sie und wollen wissen, was in Ihnen vorgeht, sozusagen.«
»Bin ich eines Verbrechens
angeklagt?« Da Aidan keine Furcht verspürte, verriet sich auch keine in seiner
Stimme oder in seiner Haltung. Er war das Versteckspiel leid.
Tobias zuckte die Schultern.
»Eigentlich nicht, obwohl das Tribunal natürlich zuerst herausfinden will, ob
Sie eine Bedro hung für uns andere sind oder nicht. Angenommen, Sie würden zum
Verräter werden und mit Nemesis Kontakt aufnehmen? Dann könnten wir alle
zerstört werden.«
Nemesis, erinnerte Aidan sich
schwach, war der Racheengel, den alle geringeren übernatürlichen Wesen
fürchteten. »Ich bin auch ein Vampir«, entgegnete er. »Wenn ich zu Nemesis
ginge, würde es auch mein Ende bedeuten.« Seufzend fuhr er sich mit einer Hand
durchs Haar. »Oder schlimmer noch — den Beginn meiner Qualen.«
»Die Ältesten befürchten, daß Sie
sich in einem Anfall von Heldentum oder Verzweiflung opfern könnten. Sie müssen
zugeben, Aidan, daß Sie oft ein sehr rücksichtsloser Vampir sind.«
Aidan grinste halbherzig. »Na
schön«, stimmte er zu. »Ich gehe freiwillig mit.«
Tobias spreizte die Hände. »Es
bleibt Ihnen ohnehin keine andere Wahl.« Sein Blick glitt zu Aidans
Naziuniform. »Aber ziehen Sie sich lieber vorher um. Es gibt Dinge, die sogar
Vampire abscheulich finden.«
Aidan blinzelte, und als er wieder
die Augen öffnete, stand er im kalten Schlafzimmer seines Hauses, im selben
Raum, in dem Neely einmal geschlafen hatte. Tobias befand sich neben ihm und
ließ sich auf einem Sessel am Fenster nieder.
»Ich verlange allerdings ein
Zugeständnis, bevor ich mich dieser Befragung unterziehe«, erklärte Aidan,
während er Jeans und einen dicken Pullover aus dem Schrank nahm.
»Und das wäre?« fragte Tobias
zuvorkommend.
»Ich mache mir Sorgen um meine
Schwester Maeve. Und um Valerian. Sie haben nichts mit meiner Unzufriedenheit
als Vampir zu tun, und ich möchte nicht, daß sie von der Bruderschaft
belästigt werden.«
Tobias stand auf. »Die Ältesten
haben nichts gegen sie, zumindest nicht im Augenblick.«
»Aber sie wissen immer, wo sie sich
gerade aufhalten«, setzte Aidan grimmig hinzu.
»Selbstverständlich«, antwortete
Tobias. »Maeve hat sich in ihr Versteck zurückgezogen und jagt nur, um ihre
Kräfte zu erhalten. Was Valerian betrifft — er kauert in der Mauer einer alten
Abtei und leckt seine Wunden.«
Seine Worte versetzten Aidan einen
Stich; er brauchte nicht zu fragen, welche Art von Verletzung Valerian
davongetragen hatte. Er wußte es nur zu gut. »Er ist stark«, murmelte er. »Er
wird sich wieder erholen.«
»Das bezweifle ich nicht«,
antwortete Tobias. »Aber es könnte hundert Jahre oder länger dauern, bis
Valerian wieder ganz der alte ist. Vampire können, abgesehen von gelegentlicher
Nahrungsaufnahme, Jahrhunderte lang schlafend liegen — aber das wissen Sie
selbst.«
»Ja«,
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