Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
verzweifelt.
Können Sie mir ganz ehrlich sagen, daß es Sie nicht reizen würde, unsterblich
zu sein wie ein Vampir? Oder die Macht zu erlangen, die wir besitzen?«
Wieder schüttelte Neely den Kopf.
»Ich will nichts anderes als eine Frau sein, eine ganz normale Frau.« Sie
machte eine kurze Pause und wagte dann zu fragen: »Will Aidan wirklich wieder
menschlich werden?«
»Er würde alles tun, um es zu
erreichen«, bestätigte Maeve gereizt. Sie zog eine Augenbraue hoch und
betrachtete Neely ausgiebig, wobei ihr Blick beängstigend lange auf ihrer Kehle
verweilte. »Wissen Sie, ich brauche Ihnen gar nicht die Wahl zu lassen. Ich
könnte Sie auch ohne Ihre Zustimmung in einen Vampir verwandeln.«
Neely dachte an die frühen
Eintragungen in Aidans Tagebüchern, an die Verzweiflung und den Haß, den er
empfunden hatte. »Das ist es, was man Ihrem Bruder angetan hat«, erwiderte sie
ruhig und spielte mit der goldenen Rosenknospe an der Kette, die Aidan ihr
geschenkt hatte. »Er verachtet diejenige,
die ihn verwandelt hat, und es würde
ihn sehr erzürnen, wenn auch mir so etwas zustieße. Wollen Sie sich Aidans Haß
zuziehen, Maeve?«
Maeves tiefblaue Augen weiteten sich
beim Anblick des Medaillons, dann wandte sie den Blick von Neely ab. »Ich liebe
Aidan«, sagte sie gebrochen. »Ich bin ein Vampir geworden, um nicht von Aidan
getrennt zu sein. Und nun will er sich zurückverwandeln.«
Neely faltete die Hände im Schoß und
schwieg einige Sekunden, um Mut zu sammeln. »Ist es möglich, daß ein Vampir
wieder in einen Menschen zurückverwandelt wird?« fragte sie schließlich leise.
Maeve starrte lange Zeit ins Leere,
dann zuckte sie die Schultern. »Meines Wissens nach hat es noch nie jemand
versucht. Aber es gibt Rituale und Geheimnisse, die nur den Ältesten bekannt
sind.«
»Neely biß sich auf die Lippen und
sprach ein stummes Gebet, nicht für sich, sondern für Aidans Zurückverwandlung.
Maeve stand plötzlich auf und
schaute mit ärgerlichem Blick auf Neely herab. »Sie können hier nicht bleiben«,
erklärte sie.
»Wenn ich Sie gefunden habe, könnte
es auch den anderen gelingen.«
Neely erschauerte unwillkürlich.
»Was haben Sie eigentlich gegen mich?« fragte sie, während sie das letzte von
Aidans Tagebüchern, das von seiner Liebe zu ihr sprach, beiseitelegte und mit
zitternden Knien aufstand.
»Sie sind eine Bedrohung für uns
alle«, erwiderte Maeve. »Vampire und Menschen pflegen normalerweise keinen
Umgang, abgesehen von den Momenten unserer Nahrungsaufnahme natürlich.«
»Aber was könnte ich Ihnen schon
tun?« beharrte Neely. »Sie haben es bereits getan«, sagte Maeve unendlich
traurig.
»Sie haben Aidans Herz geraubt und
ein schwaches Glied in der Kette aus ihm gemacht. Er könnte uns alle verraten,
nicht absichtlich natürlich, aber weil er den größten Teil seiner Vernunft
verloren hat.«
Neely schob einen Stuhl zwischen
sich und Aidans Zwillingsschwester, obwohl ihr klar war, daß das nicht viel
nützen würde, falls Maeve sie in einen Vampir verwandeln wollte.
»Mein Verbrechen ist also nur, daß
ich Aidan von ganzem Herzen liebe«, flüsterte sie. »Genau wie Sie, Maeve.«
Neely beobachtete, wie dieses schöne, überirdische Wesen ihr den Rücken
zuwandte, bemüht, sich unter Kontrolle zu halten. »Wir sind keine Feinde, Sie
und ich. Wir stehen auf der gleichen Seite.«
Als Maeve sich wieder zu Neely
umwandte, glitzerten Tränen in ihren saphirblauen Augen. »Was soll aus Aidan
werden?« murmelte sie. »Und aus uns allen?«
Neely hätte Maeve jetzt gern
berührt, um sie zu trösten, aber sie wagte es natürlich nicht. Es wäre das
gleiche gewesen, wie eine wilde Tigerin zu streicheln. »Ich weiß es nicht«,
erwiderte sie aufrichtig. »Aber auf eins können Sie sich verlassen — ich liebe
Aidan und würde ihm niemals bewußt schaden.«
Maeve musterte Neely schweigend und
schien ihre Worte abzuwägen. Zum Schluß, als sie überzeugt war, daß Neely die
Wahrheit sprach, sagte sie ruhig: »Ich habe versprochen, mich nicht in diesen
anderen Wahnsinn einzumischen, in diese Verwandlung, die Aidan so hartnäckig
verfolgt. Aber es gibt etwas anderes, was ich für ihn tun kann, und das ist,
die Frau zu beschützen, die er mehr liebt als seine eigene Seele!«
Neely schwieg abwartend, weil sie
nicht wußte, was sie dazu sagen sollte. Wer konnte schon sagen, ob Maeves
Vorstellung von Schutz nicht darin bestand, sie in ein blutsaugendes Ungeheuer
zu verwandeln? Oder vielleicht
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