Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
einen Raum, eine Küche
mit durchhängendem Boden und einem uralten Kühlschrank. Am Ende einer langen,
schmalen Diele sah Neely weißes Porzellan schimmern.
»Bitte«, sagte sie zu den Männern.
Überraschenderweise packte Sally sie
am Nacken und schob sie auf das Badezimmer zu. »Ich hatte noch nie jemanden,
der mir soviel Ärger machte wie Sie«, knurrte er, löste recht unsanft die
Fesseln an ihren Handgelenken und stieß sie in den kleinen Raum. »Machen Sie
keine Dummheiten«, warnte er. »Das Fenster über dem Klo ist versiegelt, und
selbst wenn Sie es aufkriegten, kämen Sie niemals über den Hof, bevor ich Sie
erwische. Haben Sie das kapiert?«
»Ja.« Neely ging ins Bad, machte
Licht und erledigte rasch, was sie zu erledigen hatte. Während sie damit
beschäftigt war, schaute sie sich nach einer möglichen Waffe um, einer
Rasierklinge vielleicht oder einer Schere. Aber es war nichts da außer einer
Toilettenbürste, die in einer rostigen Kaffeedose steckte. Neely betätigte die
Spülung, zog die Jeans hoch und wusch die Hände in dem verschmutzten Becken.
Als sie das Bad verließ, wartete Sally schon ungeduldig. Er band jedoch nicht
sofort ihre Hände zusammen, sondern packte Neely am Ellbogen und zerrte sie in
einen Raum, der irgendwann einmal als Wohnzimmer gedient zu haben schien.
Ein Piano mit verblichener Tastatur
stand auf einer Seite des Raums, ein Holzofen auf der anderen. An der Wand über
einem
schmutzigen, rattenzerfressenen Sofa
hing das Porträt irgendeines Märtyrers, der gerade den schlimmsten Qualen
unterzogen wurde.
Aidan, dachte Neely unwillkürlich.
Die Klarheit seiner Antwort
überraschte sie so sehr, daß sie zusammenfuhr, als hätte jemand sie mit einem
heißen Eisen berührt. Halte durch, Liebling. Ich bin auf dem Weg zu dir.
Die Erleichterung war so überwältigend,
daß Neely schwankte.
Vinnie stieß sie auf einen Stuhl und
band ihr die Hände auf den Rücken. Auf einem zweiten Stuhl neben ihr saß der
Sena-
tor, ebenfalls gefesselt. Er wirkte
seltsam geistesabwesend, fast als hätte er sich aus seinem Körper entfernt und
betrachtete die Entwicklung der Dinge aus sicherer Entfernung.
Neely schaute zu, wie Sally ein
Feuer im Ofen anzündete. Vinnie schlenderte zu der entgegengesetzten
Zimmerseite und öffnete einen Schrank, der aussah, als ob er ein Klappbett
beinhaltete.
Statt dessen kam ein riesiger
Fernsehapparat zum Vorschein. Vinnie suchte einen Nachrichtensender und
fluchte, als er die ersten Bilder sah. Es war Melody Lings sorgfältig
geschminktes Gesicht, das auf dem Bildschirm erschien: mit dem Mikrofon in der Hand
stand sie vor dem Washingtoner Capitol.
Neely hörte ihr erleichtert und
dankbar zu. Ruhig und sehr professionell beschrieb die Journalistin den Skandal
um Senator Hargrove, zählte Namen auf und beschrieb die Verbrechen.
Senator Hargrove war noch immer so
abwesend, daß er nicht einmal aufschaute und nicht einmal auf die Erwähnung
seines Namens reagierte. Beamte der DEA und des FBI wünschten den Politiker zu
sprechen, sagte Miss Ling; der führende Kopf eines asiatischen
Verbrechersyndikats und zwei FBI-Agenten waren bereits verhaftet worden.
Als sei es ihr eben erst
eingefallen, fügte die Reporterin hinzu: »Ein weiterer Aspekt dieser traurigen
Angelegenheit ist die Tatsache, daß Elaine Hargrove heute abend in einer
Washingtoner Klinik verstorben ist. Nach einem tragischen Autounfall hatte sie
nicht wieder das Bewußtsein zurückerlangt. Familienmitglieder und Freunde waren
bei ihr, als es zu Ende ging — mit Ausnahme ihres Gatten, Senator Dallas Hargrove
...«
Der Senator stieß ein wolfsähnliches
Heulen aus, das Neely einen schmerzhaften Stich versetzte. Ruhe in Frieden,
Elaine.
dachte sie traurig, denn sie hatte
diese Frau aufrichtig bewundert, und daran würde sich niemals etwas ändern.
Vinnie und Sally gerieten in Panik.
»Hast du das gehört?« wandte sich einer an den anderen — Neely schenkte ihnen
nicht genug Beachtung, um zu wissen, wer von beiden sprach. »Sie haben den Boss
geschnappt, verdammt!«
Die Stimmen verzerrten sich,
schienen durch einen Tunnel zu pulsieren und zu echoen.
»Ich würde sagen, wir bringen sie
jetzt um — alle beide!«
»Zum Teufel damit! Wenn du hier
bleiben und den Schlaumeier spielen willst, dann tu es. Aber ich verschwinde!«
Der Senator begann zu weinen,
ausnahmsweise einmal nicht um seine eigene Haut besorgt. Er hatte gerade
erfahren, daß seine Frau gestorben war und er in dem Moment, wo
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