Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
sollst! Sie ist hier ... sie wartet.«
»Lisette«, sagte Aidan. »Ja, das
hatte ich mir schon gedacht.«
Eine gespenstisch schrille Musik
erfüllte plötzlich die kalte Nachtluft, und Aidan erhob den Blick von seinem
hilflosen Freund zu Lisette, die eine anmutige Pirouette auf einer Grab-
steinplatte drehte.
Valerian begann zu weinen. »Warum
Aidan — warum bist du gekommen? Ich hätte alles ertragen können, aber was sie
dir
antun wird ...«
»Hör auf zu flennen«, wies Aidan ihn
kühl zurecht. Er suchte die geistigen Fesseln, die seinen Freund gefangen
hielten, prüfte sie im Geiste und stellte fest, daß sie zu stark waren. »Wenn es
etwas gibt, was ich verabscheue, dann sind es heulende Vam-
pire!«
Lisette hielt in ihrem schaurigen
Tanz inne und streckte ihre Arme nach Aidan aus. Sie schien zu schweben in
einer weißen Robe, wie ein Gespenst, das Substanz besaß.
»Komm, tanz einen Walzer mit mir,
mein Schöner!«
Aidan näherte sich ihr. Vielleicht
hätte er sich nun fürchten müssen, aber darüber war er längst hinaus, er kannte
keine Angst mehr und kein Entsetzen, nicht einmal Panik. Eine seltsame Ruhe
beherrschte ihn. Wenn er nie wieder ein Mensch sein konnte, nie wieder Neely in
den Armen halten würde, dann
wollte er lieber sterben.
»Gib Valerian frei. Du hast ihm
nichts vorzuwerfen.«
Lisette verzog ihren hübschen Mund
zu einem Schmollen, und Aidan erinnerte sich an andere Zeiten, als er sie für
eine Frau aus Fleisch und Blut gehalten und sich an ihren Umarmungen erfreut
hatte. »0 doch, das habe ich!« entgegnete sie ungehalten. »Er hatte die
Absicht, dich in alle Ewigkeit zu seinem Gefährten zu machen!«
»Er hat längst gemerkt, daß das
nicht möglich ist. Laß ihn gehen, Lisette.«
Wieder drehte sie eine Pirouette auf
dem Grabstein, und ihre rotbraunen Locken glitzerten im Mondschein. Sie lachte,
ein silberheller Ton, der eine Spur Wahnsinn enthielt.
»Du dummer Junge«, sagte sie
vorwurfsvoll. »Valerian wird bei Sonnenaufgang schreiend sterben, und du
ebenfalls, mein Liebster.«
Es war keine leere Drohung, doch
Aidan blieb noch immer ruhig. Falls seine Existenz auf diese Weise enden würde,
dann sollte es eben so sein. Von einem kosmischen Standpunkt aus gesehen, gab
es nur ein Schicksal für ihn. »Ich dachte, du wolltest mit mir tanzen«,
entgegnete er ruhig.
Lisette stieg von dem Grabstein und
blieb im Schnee vor Aidan stehen. Ein mutwilliges Funkeln erhellte ihre Augen.
»Bildest du dir wirklich ein, Aidan Tremayne, daß ich nicht merke, wenn jemand
versucht, mich zu bevormunden?«
Er breitete nur die Arme aus, wie
unendlich lange Zeit zuvor, als sie auf sommerlichem Gras getanzt hatten, unter
einem hellen Sternenhimmel, und er noch nicht geahnt hatte, welches Ungeheuer
er da umwarb.
Lisette warf ihm einen koketten
Blick zu, bevor sie sich in seine Arme schmiegte. Aidan drehte sich mit ihr,
immer wieder, und ihr fließendes weißes Gewand blähte sich um sie wie sein
Cape, und nach einer Weile begann Lisette leise zu summen.
Ein- oder zweimal dachte Aidan an
das Schauspiel, das sie bieten mußten — er und Lisette, zwei Ungeheuer, die auf
einem mondbeschienenen Friedhof Walzer tanzten, während ein hilfloser Valerian
auf dem Boden festgenagelt lag wie ein unglücklicher Darsteller aus einem
alten Western. Aidan hätte gelacht, wenn er es gewagt hätte, aber die
Morgendämmerung war schon nahe, ein schwacher grauer Schimmer überzog den Horizont.
»Du warst so ein reizendes Wesen zu
Beginn«, beklagte Lisette sich plötzlich und strich mit der Fingerspitze über
Aidans Kehle zu seinem Hemdkragen hinab. »Ich hätte dich nie verwandeln sollen.
Das war mein schlimmster Fehler.«
Insgeheim stimmte Aidan ihr zu,
obwohl er froh war, daß er lange genug gelebt hatte, um Neely zu begegnen. Denn
das wäre natürlich nie geschehen, wenn er nur seine natürliche Anzahl von
Jahren gelebt hätte. »Hast du noch andere verwandelt?« fragte er aus einem
plötzlichen Impuls heraus. »Valerian zum Beispiel?«
Lisette seufzte und warf einen
verächtlichen Blick auf den älteren Vampir. »Diesen unerträglichen Störenfried?
Ganz bestimmt nicht, Aidan. Ich weiß nicht, wie er zustandegekommen ist und
noch viel weniger, aus welchem Grund, und es ist mir auch egal, ob er von heute
an bis ans Ende aller Zeiten in der Hölle schreit.«
»Warum haßt du ihn so sehr?«
»Weil er es gewagt hat, dich zu
lieben.«
»Müßtest du dann nicht auch dich
selber hassen?«
Lisette blieb
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