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Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Silbernes Mondlicht, das dich streichelt

Titel: Silbernes Mondlicht, das dich streichelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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im ersten Stock des alten Herrenhauses. Er benutzte den Raum nur
selten, doch nun hatte er das Bedürfnis, sich umzuziehen. Danach würde er im
London des neunzehnten Jahrhunderts auf die Jagd gehen, vielleicht unter dem
Gesindel, das den Kai bevölkerte, und später nach Valerian sehen. Bestimmt
hatte der ältere Vampir seinen Groll inzwischen überwunden, und sie würden
reden können. Aidan war begierig, seinem Freund zu berichten, daß es möglich
war, wieder ein Mensch zu werden; er fragte sich, ob auch andere Vampire sich
zu diesem Schritt entschließen würden, falls es ihm gelingen sollte, die
Verwandlung durchzuführen.
    Aidan pfiff leise vor sich hin, als
er seinen elegantesten Abendanzug anzog — schwarze Hosen mit schimmernden Silberstreifen
an den Beinen, einen langschößigen Frack, ein gerüschtes weißes Hemd aus
feinstem Leinen, eine schmale schwarze Smokingschleife und einen Zylinder. Über
die glänzenden schwarzen Schuhe legte er Gamaschen an und vervollständigte
seine Aufmachung mit einem langen, mit Goldborte gesäumten Cape.
    Er schaute an sich herab, stellte
fest, daß er wie ein echter Vampir aussah, hob die Arme über den Kopf und löste
sich in grauen Dunst auf.
    Diese Art zu reisen werde ich vermissen, gestand
Aidan sich im stillen ein, als er sich in einer schmutzigen, von Ratten
bevölkerten Hafengasse wieder verkörperte, direkt hinter einem Lokal, das eine
Mischung aus Bordell und Opiumhöhle darstellte.
    Der abendliche Nebel ließ die
Silhouetten der leeren Kisten und Whiskyfässer, die überall herumstanden, wie
Tänzer eines gespenstischen Balletts erscheinen. Aidan wartete; nur wenige
Schritte weiter erblickte er eine Leiche, die zusammengekauert an einer
Hauswand lehnte.
    Er erschauderte vor Abscheu und
versuchte, das tote Ding zu ignorieren, aber das war nicht leicht. Aus den
Augenwinkeln sah er den Geist aus dem Körper emporsteigen und vernahm sein
verzweifeltes, empörtes Aufheulen.
    Plötzlich stürzte er sich auf Aidan,
eine blaugraue Blässe aus flackerndem Licht, kreischend und geifernd. Die
Kreatur war oder war es vor ungefähr einer halben Stunde noch gewesen ein
Seemann, ein Knabe noch, noch keine fünfzehn Jahre alt. Er war seiner wenigen
Pennies, die er noch besaß, beraubt und dann erstochen worden.
    »Geh«, sagte Aidan, freundlich, aber
in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Hier gibt es nichts für dich.
Such das Licht, und folge ihm, wohin es dich führt.« Er war sich nicht viel
sicherer als das Gespenst selbst, daß es ein Leben nach dem Tode gab, aber als
kleiner Junge hatte er seine Mutter diese Worte einmal zu einem Sterbenden
sagen hören. Der Unglückliche war von einer Kutsche überfahren worden und hatte
entsetzlich gelitten, doch die Worte des Tavernenmädchens hatten ihm einen
gewissen Trost vermittelt.
    Aidan wollte gerade weitergehen, als
eine große, korpulente Frau aus einer der Hintertüren stürzte und ein mageres,
halb verhungertes Kind mit sich zog. Draußen packte die betrunkene Vettel das
Mädchen — sie war erst zwölf, sah Aidan mit einem raschen Blick in ihren Geist
— an den Haaren und schleuderte es hart gegen eine Mauer.
    Das Kind schrie hysterisch wie ein
Tier in einer Falle. Sie hatte in der Küche etwas gestohlen, ein Stück Brot und
eine Scheibe Käse, und die Frau hatte sie dabei erwischt.
    »Jetzt wirst du dein blaues Wunder
erleben!« kreischte die fette Alte. »Und dann werden wir sehen, ob du Dorcus
Moody noch einmal bestiehlst, du verdammtes Luder aus dem Arbeitshaus!«
    Aidan löste sich aus den Schatten,
ein beeindruckender Anblick in seinen eleganten Kleidern, und beide, das Kind
und die alte Hexe, starrten ihn an wie eine Erscheinung.
    »Wie heißt du?« fragte er das
Mädchen sanft.
    Dorcus Moody rührte sich nicht, denn
Aidan hatte sie an ihrem Platz festgefroren.
    »Effie«, war die schüchterne
Antwort.
    »Du hast das Brot und den Käse für
deine Mutter genommen«, sagte Aidan, weil er soviel bereits erkannt hatte.
    Effie nickte.
    »Sie ist krank.«
    Wieder nickte das Kind. »Sie haben
uns aus dem Arbeitshaus hinausgeworfen — mein Bruder machte Ärger, als einer
der Jungen seine Hand unter meinen Rock schob.«
    Aidan bedeutete Effie, zu warten,
schlüpfte in die düstere Tavernenküche und ergriff zwei Brotlaibe, einen großen
Käse und eine Hirschkeule. Nachdem er dies alles in einen Sack gesteckt hatte, trug
er ihn hinaus und überreichte ihn schweigend dem kleinen Mädchen.
    Dorcus Moody stand noch

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