Silberschweine
Scherz einzugehen, wies ich darauf hin, daß Flavius Hilaris seit zwanzig Jahren mit Vespasian befreundet war.
»Falco, leider ist es so, daß sich ein Mann, wenn er Kaiser wird, seine Freunde zweimal ansehen muß.«
»Wenn ein Mann Kaiser wird, sehen ihn sich auch seine Freunde zweimal an!«
Er lachte wieder.
Draußen vor der Tür verstummte das drängende Gemurmel jetzt nicht mehr. Titus starrte vor sich hin.
»Ist Flavius Hilaris gebeten worden, noch einmal zu schreiben?« fragte ich.
»Wir haben ihm mit Signalfeuer eine dringende Botschaft geschickt, aber wegen des Triumphzugs verzögert sich im Augenblick alles. Übermorgen könnten wir eine Antwort haben.«
»Brauchen Sie sie noch?«
Da erst gab er mir Sosias Täfelchen zurück, so daß ich lesen konnte, was darauf stand.
»Leider ja«, sagte Titus.
Auf dem hellen Holz waren zahlreiche Kratzspuren zu sehen; ich hatte richtig vermutet: Sosia war eine ungeübte Schreiberin. Ich konnte deutlich Spuren, Striche, sogar einzelne Buchstaben, über die ganze Seite verteilt, erkennen.
Aber den fehlenden Namen zu entziffern war unmöglich.
LV
Titus Cäsar verschränkte die Arme.
»Im Grunde ändert es nichts. Wir müssen die Antwort eben selbst herausfinden. Haben Sie eine Vermutung, welcher Bruder es sein könnte?«
»Nein, Cäsar. Es könnte der Senator sein, der so erpicht darauf zu sein scheint, Ihrem Vater zu helfen, aber vielleicht nur, weil er so unsere Bemühungen sabotieren kann. Genausogut könnte es sein Bruder sein, der ein enger Vertrauter von Atius Pertinax war. Vielleicht sind sogar beide beteiligt.«
»Falco, seit wann hegen Sie eigentlich all diese Vermutungen?« fragte Titus.
»Cäsar, wenn Ihnen an Spekulationen liegt, hätte ich Ihnen schon vor sechs Monaten eine Liste mit tausend Namen geben können –«
Noch immer hielt er die Arme vor der Brust verschränkt und reckte jetzt das berühmte Flavierkinn nach vorn. »Warum haben Sie die Verwicklung der Familie für sich behalten? Offenbar fühlen Sie sich eng mit ihr verbunden?«
»Nein, Cäsar«, beteuerte ich.
Wir waren nahe an einem hitzigen Wortgefecht. Mich überraschte das nicht; irgendwann hatte ich bisher mit jedem gestritten, der an diesem Fall beteiligt war. Aber Titus mit seiner ausgeprägten sentimentalen Ader brach plötzlich ab. Er warf den Kopf noch weiter zurück und rief mit trauriger Stimme: »Oh, Falco, mir ist das alles so zuwider!«
»Trotzdem«, sagte ich forsch, »werden Sie sich damit befassen müssen.«
Draußen entstand stärkere Bewegung. Ein Tribun, etwas älter als der erste und mit den breiten Purpurstreifen des Senatorenstandes versehen, trat ein. Als er sah, daß Titus und ich die Köpfe zusammengesteckt hatten, blieb er stehen; anscheinend genoß er großes Vertrauen und erwartete keine Zurückweisung. Und offenbar war er der Ansicht, der besondere Tag morgen habe Vorrang vor meinem kleinen Ränkespiel. Seine Beharrlichkeit erinnerte Titus an die eigentliche Tagesordnung.
»Gibt es irgendwelche Probleme, Cäsar? Domitian Cäsar ist schon vorausgeritten, aber Ihr Vater wartet auf Sie.«
»Ja, ich komme.«
Der Tribun wartete. Titus ließ ihn bleiben.
»Wir brauchen Ihre Hilfe, um die übrigen Verschwörer ausfindig zu machen!« Ich zögerte. Ich war den Beteiligten zu nah, als daß ich die Dinge noch klar beurteilen konnte. Mein Widerstreben kam für ihn offenbar nicht unerwartet.
»Cäsar, die Garde kann jetzt übernehmen. Ich möchte Ihnen einen Hauptmann empfehlen, der schon einiges weiß; er heißt Julius Frontinus. Er wurde auf den Fall aufmerksam, als der erste Barren in Rom auftauchte, und hat mir nachher geholfen, die richtige Spur zu finden –«
»Ein Freund?«
»Er ging mit meinem Bruder zur Schule.«
»Aha!«
Wenn man es mit einem Cäsar zu tun hat, geht es unangenehm höflich zu. Schon weckte seine zuvorkommende Art in mir heftige Skrupel. Statt endlich von allem loszukommmen, fühlte ich mich hoffnungslos unter Druck.
»Falco, ich kann Sie nicht zwingen, weiterzumachen, aber ich wünsche es mir. Hören Sie, wollen Sie Ihre Entscheidung nicht bis morgen aufschieben? In den nächsten vierundzwanzig Stunden geschieht sowieso nichts. Ganz Rom wird stillstehen. Morgen verteilt mein Vater Geschenke an die Leute, die für ihn arbeiten. Das haben Sie gewiß verdient; also lassen Sie es sich nicht entgehen! Bis dahin überlegen wir beide, wie es weitergehen kann. Kommen Sie nach dem Triumphzug wieder, dann reden wir weiter.« Er erhob
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