Silberschweine
einzustellen. Wir warfen einen verstohlenen Blick auf Truforna.
»Was ist mit ihr?« murmelte ich.
»Sie braucht nichts davon zu wissen«, erklärte Vitalis mit zu viel Zuversicht. Ich dachte: O Zenturio! Aber auch das war seine Sache.
Er kannte sich in der Gegend aus. Ich ließ ihn den Plan ausarbeiten.
Eine Woche später erreichten wir die Silbergruben von Vebiodunum, Vitalis auf einem Pony in der Leder- und Pelzkluft eines Kopfgeldjägers, ich zu Fuß in den Lumpen eines Sklaven. Dem Aufseher erklärte er, er suche regelmäßig die Höhlen in den Kalksteinschluchten nach entlaufenen Sklaven ab. Dann entlocke er ihnen die Namen der Besitzer, denen sie weggelaufen waren, und gebe sie gegen eine gehörige Belohnung zurück. Ich jedoch hätte mich bisher standhaft geweigert, zu sagen, wohin ich gehörte, und nachdem er, Vitalis, mich drei Wochen durchgefüttert habe, sei er mit seiner Geduld am Ende. Meinem Gedächtnis würde ein bißchen Schwerarbeit in den Gruben sicher guttun.
Rufrius Vitalis schmückte die Geschichte, auf die wir uns geeinigt hatten, schrecklich aus, nicht zuletzt dadurch, daß er mir – aber erst, als ich in Ketten war – einen solchen Schlag versetzte, daß mir die Backe aufplatzte, und mich dann in den Misthaufen eines zahnlosen Dorftrottels stieß. Bei der Übergabe war mein Zorn genauso echt wie mein Geruch. Dem Sklavenaufseher in Vebiodunum erzählte Vitalis außerdem noch, da ich meinen Namen nicht preisgeben wolle, sei es durchaus möglich, daß ich meinen Herrn ermordet hätte. Dieses zusätzliche Leumundszeugnis war ein Luxus, auf den ich gut hätte verzichten können.
»Ich nenne ihn Witzig«, erklärte Vitalis, »weil er es nie ist. Laß ihn bloß nicht laufen! Ich komme wieder, sobald ich Zeit habe. Vielleicht ist er dann eher aufgelegt zu einem Plauderstündchen.«
Immer nannte mich der Aufseher Witzig. Ich war es nie.
XXVI
Der Eindruck, den das Hochland aus der Ferne macht, täuscht. Der Bergrücken aus Kalkgestein, in dem die Bleigruben liegen, wirkt nicht feindseliger als die Hügellandschaft in Südbritannien. Nur wenn man sich diesen Bergen von Süden oder Westen nähert, steht man plötzlich vor schroff aufragenden Klippen, die sich von dem freundlichen Auf und Ab der Hügel in anderen Landstrichen erheblich unterscheiden. Auf der Südseite liegen die Schluchten – mit uralten Höhlen und unberechenbaren Wasserläufen, die irgendwo unter der Erde verschwinden oder bei plötzlichen Regengüssen als wütendes Hochwasser hervorsprudeln. In die steilen Hänge an der freundlicheren Nordseite ducken sich winzige Dörfer, die durch gefährliche, zwischen den winzigen Weideflächen auf- und abführende Pfade verbunden sind.
Von Osten gesehen, scheint das Gelände kaum anzusteigen. Die Straße zu den Gruben ist nicht beschildert; wer geschäftlich hierherkommt, hat einen Führer dabei, und daß Leute, die zufällig in diese Gegend geraten, nur schwer zu den Gruben finden können, ist kein Zufall.
Wenn man sich von der Grenze her nähert, bleiben Wald und Ackerland nach und nach zurück, und plötzlich hat man die Ebene aus dem Blick verloren. Die Straße überquert ein windiges, kahles Plateau. Sie führt zu den Gruben und sonst nirgendwohin. Grau ist die alles beherrschende Farbe, und auf einer Strecke von zehn Meilen führt die schmale Straße über freiliegenden Kalkstein. Die Leere dieser Landschaft und das Zerren des Windes erfüllen die Seele mit Melancholie. Selbst im Hochsommer stürmen wütende Winde über den langgestreckten Bergrücken, und die Sonne brennt nicht herab, sondern bleibt hinter hochgetürmten, fernen Wolken verborgen, die diese Einöde in ewige Schatten tauchen.
Drei Monate arbeitete ich in den Bleigruben. Von der Revolte abgesehen, war es die schlimmste Zeit meines Lebens.
Es gelang mir, nach und nach sämtliche Abteilungen der Grube kennenzulernen. Von den freiliegenden Flözen und den Stollen, wo das Erz buchstäblich aus dem Boden gekratzt wurde, kam ich nach drinnen, zu den aus Lehm gebauten Öfen, wo es zum erstenmal geschmolzen wurde, dann weiter zu den Treibherden, wo sich die Leute an den Blasebälgen abmühten, um die Gluthitze zu erzeugen, die das Silber von den verfeinerten Bleiklumpen trennt. Zuerst arbeitete ich dort an den Bälgen, danach bei den Auslesern, die am Ende des Tages das Silber im abgekühlten Herd aufsammeln. Für einen Sklaven war das Auslesen die beste Arbeit. Wenn er Glück hatte, konnte er mit seinen
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