Silberschweine
sobald ich weiß, wie die Barren gestohlen und weggeschafft werden.«
Ich beendete mein Frühstück und setzte mich zur Förderung der Verdauung mit übereinandergeschlagenen Beinen auf meine Liege. Flavius Hilaris tat das gleiche. Er hatte das spitze Gesicht eines Mannes mit Nierensteinen, der aus Angst oder weil es ihm peinlich ist, nie Zeit findet, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen.
»Ihre Aufgabe besteht darin, herauszufinden, wie dieser Diebstahl organisiert ist, Falco. Ich werde Sie in die Gruben einschmuggeln, unter die Arbeiter.«
»Ich hatte eigentlich an einen Posten in der Verwaltung gedacht!«
Er lachte. »Alles besetzt mit nicht besonders klugen Senatorenneffen, die zur Wildschweinjagd herkommen – oh, Helena, pardon!«
Als Senatorentochter hätte sie wohl Einspruch erheben können, aber sie rang sich ein schiefes Lächeln ab. Mich plagten inzwischen ganz andere Sorgen.
Mein neuer Beruf erforderte großes Stehvermögen. In den Gruben arbeiteten Verbrecher von der schlimmsten Sorte. Sklaventrupps rackerten sich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ab, es war Schwerstarbeit. Die Bleiflöze lagen in den Mendips zwar ziemlich dicht unter der Erdoberfläche, aber was den Gruben an Gefährlichkeit fehlte, das machte die Gegend durch absolute Trostlosigkeit wieder wett.
»Falco?« fragte Flavius. »Denken Sie über Ihr Glück nach?«
»Offen gestanden, ich würde lieber in vollem Ornat und ohne Sonnenschirm in einem glühend heißen Amphitheater sitzen, wo Wein verboten ist und die Musiker streiken, und mir fünf Stunden lang ein griechisches Drama ansehen, von dem ich kein Wort verstehe! Wem habe ich diesen erholsamen Winterurlaub zu verdanken?«
Hilaris faltete seine Serviette zusammen. »Ich glaube, Helena Justina ist auf die Idee gekommen.«
Ich mußte lächeln.
»Mögen die Götter Sie beschützen, Verehrteste! Ich verlasse mich darauf, daß Sie meinem grauhaarigen Mütterlein Bescheid sagen, wenn ich mir dort oben das Rückgrat breche und im Moor begraben werde. Sind Sie eigentlich den Furien Rechenschaft dafür schuldig, daß Sie mit so viel Grausamkeit an mir Rache nehmen?«
Sie starrte in ihren Becher und sagte nichts.
Ihr Onkel machte ein belustigtes Gesicht.
»Helena Justina ist niemandem Rechenschaft schuldig, außer sich selbst«, sagte er.
Genau darin, so schien mir, bestand ihr Problem. Aber mit dieser Feststellung war nichts gewonnen, und ihrem Vater Decimus mochte ich keine Vorwürfe machen. Man kann einen Mann für die Frauen in seinem Haus nicht ohne weiteres verantwortlich machen. Das war mir klar, lange bevor ich selbst welche in meinem hatte.
XXV
Flavius Hilaris traf die notwendigen Vorkehrungen für meine Reise nach Westen, was ich sehr nett von ihm fand, bis ich begriff, worin diese Vorkehrungen bestanden. Er schickte mich nämlich auf dem Seeweg. Im mittleren Teil der Südküste besaß er ein Stadthaus und weiter westlich außerdem ein Landgut mit einer Sommervilla; für die Reise zu diesen Besitzungen hatte er sich ein klobiges, mit Entenmuscheln übersätes keltisches Segelschiff zugelegt, das er scherzhaft seine »Yacht« nannte. Wahrscheinlich hielt er seine Idee für gut, ich jedoch traf meine Vorkehrungen von nun an selbst.
In Isca wurde ich abgesetzt – achtzig römische Meilen von den Gruben entfernt. Aber das war gut so: es hätte keinen Zweck gehabt, vor Ort im Schiff des Prokurators aufzukreuzen, sozusagen mit einem Schild um den Hals, auf dem jeder lesen konnte: »Der Spitzel des Prokurators«. In Isca kannte ich mich aus. Und ich bin abergläubisch: Wenn man in den Abgrund springt, dann am besten von einem Felsen aus, auf dem sich die eigenen Füße auskennen.
Seit meiner Zeit vor zehn Jahren hatte es große Truppenverlegungen gegeben. Ursprünglich hatten vier Legionen in Britannien gestanden. Die Vierzehnte Gemina befand sich zur Zeit auf dem europäischen Festland und wartete darauf, wie Vespasian über ihr weiteres Schicksal entscheiden würde: Sie hatte im Bürgerkrieg gekämpft – aber auf der falschen Seite. Die Neunte Hispana wurde gerade nach Eboracum im Norden verlegt, die Zwanzigste Valeria war auf die Berge im Westen losmarschiert, und meine alte Einheit, die Zweite Augusta, war nach Glevum umgezogen, oberhalb der Sabrinamündung. Sie sollte die schwarzhaarigen Silurer niederwerfen und dann, sobald sie sich sicher genug fühlte, den nächsten Vorstoß nach Westen vorbereiten.
Isca ohne die Zweite kam mir vor wie eine Geisterstadt.
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