Silberschweine
Es war merkwürdig, unser Lager nach so langer Zeit wiederzusehen, aber noch merkwürdiger war, daß alle Tore offenstanden und die Kornspeicher ausgeräumt waren, daß sich ein buntes Gewirr von Werkstätten und Schuppen an der Straße breitgemacht hatte und daß im Haus des Oberbefehlshabers jetzt ein einheimischer Bürgermeister residierte. Hinter dem Lager und den an die Wehrmauern angelehnten Hütten und Läden lagen die Felder und Grundstücke der Veteranen, die in den Ruhestand gegangen waren, als die Zweite noch hier lag. Pech, wenn man sich ein Stück Land zuweisen läßt, um weiter in der Nähe der Freunde zu leben, und dann zusehen muß, wie sie abmarschieren und hundert Meilen entfernt ein neues Lager beziehen. Aber viele hatten sich mit einheimischen Frauen zusammengetan, und das mochte manchen von ihnen hier zurückhalten. Daß sie in dieser abscheulichen Provinz blieben, weil ihnen das Klima oder die Landschaft gefiel, schien mir jedenfalls völlig undenkbar.
Auf diese Veteranen war ich angewiesen. Ich zählte darauf, daß sie hier neben dem Lager der Zweiten ausharrten und daß die Zweite nicht mehr da war. Wenn ich etwas zu bieten hatte, das nach Abenteuer schmeckte, würde ich einen Burschen finden, den es in den Füßen juckte.
Rufrius Vitalis, Zenturio außer Dienst, bewohnte ein kleines Haus auf der roten Erde am Rande der düsteren Heide. Die Nachbarn, lauter grauhaarige Kerle, lebten und wirtschafteten hier genau wie er. Er fiel mir in der Stadt auf. Ich lief ihm absichtlich in den Weg und behauptete, ihn besser zu kennen, als es wirklich der Fall war. Er hatte solche Sehnsucht nach Neuigkeiten aus Rom, daß wir im Nu alte Kumpel waren.
Er war ein stämmiger Kerl mit grauem Stoppelkinn und wachen Augen in seinem Ledergesicht. Er stammte aus einer alten Bauernfamilie in der Campagna. Selbst in Britannien arbeitete er im Freien mit nackten Armen; er hatte so viel Energie, daß er die Kälte einfach ignorieren konnte. Bevor er in den Ruhestand getreten war, hatte er dreißig Jahre gedient – fünf mehr als nötig, aber nach dem Aufstand bot man erfahrenen Männern in Britannien einen besseren Sold für ein paar zusätzliche Dienstjahre. Ich staune immer wieder, was Menschen für doppeltes Geld alles auf sich nehmen.
Wir setzten uns in eine Kneipe und redeten. Danach nahm er mich mit zu sich, und es überraschte mich nicht, daß er mit einer einheimischen Frau zusammenlebte, die erheblich jünger war als er. Die meisten Veteranen machen es so. Sie hieß Truforna, ein unförmiges, farbloses Geschöpf, ein Mehlkloß mit blaßgrauen Augen, aber ich konnte verstehen, wie sich ein Mann in einer Hütte auf der falschen Seite des Ozeans einredet, Truforna habe eine gute Figur und sei auch noch unterhaltsam. Als wir kamen, beachtete er sie nicht; aber sie beobachtete ihn, während sie in dem engen Haus herumhantierte.
Wir setzten unsere Unterhaltung fort – in gedämpftem Ton, um Truforna nicht zu beunruhigen. Er fragte mich, warum ich hier sei. Ich ließ das Wort Diebstahl aufblitzen, deutete an, der Fall habe eine politische Seite, ging aber nicht in die Einzelheiten. Er fragte nicht nach. Jeder einfache Soldat, der es vor seiner Entlassung zum Zenturio bringt, hat so viel erfahren und erlebt, daß ihn die Politik nicht mehr aufregt. Rufrius Vitalis wollte wissen, welche Strategie ich verfolgte.
»Reinkommen, rausfinden, was los ist, rauskommen.« Er sah mich ungläubig an. »Kein Witz!« fügte ich hinzu. »Anders geht es nicht.«
»Kann dich der Prokurator nicht reinbringen?«
»Mein Problem ist, wie ich wieder rauskomme.«
Er sah mich an. Wir hegten beide tiefes Mißtrauen gegen Verwaltungsleute. Er verstand, warum ich meinen eigenen Plan wollte und jemanden brauchte, auf den ich mich verlassen konnte, jemanden, der das Seil wieder hochzog, wenn ich von unten rief.
»Brauchst du einen Partner, Falco?«
»Ja, aber wen könnte ich fragen?«
»Mich vielleicht?«
»Und dein Hof?«
Er antwortete mit einem Achselzucken. Nun gut, das war seine Sache. Dann stellte er die eigentliche Frage: »Wir bringen dich rein, wir holen dich raus. Und danach?«
»Danach geht es auf dem schnellsten Weg nach Rom, mein Lieber!«
Er hatte den Köder geschluckt – samt Haken. Wir hatten von Rom gesprochen, bis er vor lauter Herzklopfen nicht mehr konnte. Jetzt fragte er mich, ob ich vielleicht Verwendung für jemanden hätte, der mitkommen wolle, und ich bot an, ihn als Gepäckmeister für Helena Justina
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