Silberschweine
Ich hätte gerne erlebt, wie Helena zur Abwechslung mal einen Cäsar abkanzelte – statt immer nur mich. Aber ich gab ihr einen vernünftigen Rat: »Helena Justina, Sie sollten Titus Cäsar jetzt von den Leuten berichten, die in das Haus Ihres Mannes kamen und über die wir in Massilia gesprochen haben.« Bei dem Namen Massilia verkrampfte sich in mir etwas, und ich versuchte, nicht an den Fehler zu denken, den ich im Gasthof dort gemacht hatte. Helena nahm meinen Vorschlag so gleichgültig auf wie immer.
In ihrer direkten Art wiederholte sie die Geschichte für Titus. Er verlangte Namen; sie zählte sie auf. Diesmal behielt ich einige im Gedächtnis, obwohl sie mir immer noch nichts sagten: Aufidius Crispus, Curtius Gordianus, Gordianus’ Bruder Longinus, Faustus Ferentinus, Cornelius Gracilis …
Titus griff hastig nach einem Notizbuch und machte sich in Kurzschrift ein paar Notizen – es war ihm offenbar zu umständlich oder zu gefährlich, einen Sekretär herbeizurufen. Außerdem war er bekannt dafür, daß er schnell stenographieren konnte.
Während er die Namen noch einmal überflog, fragte ich: »Ist es indiskret zu fragen, ob Ihr Bruder vernommen worden ist?«
Er antwortete mir kühl: »Es gibt keine triftigen Beweise für einen Verdacht gegen Domitian.« Er war Anwalt gewesen, und dies hier war die Antwort eines Anwalts. Aber plötzlich wurde er unruhig. »Wissen Sie, warum ich so rasch nach Rom gekommen bin? Gerüchte!« brach es aus ihm hervor. »Ich hatte an der Weihefeier für den Apis-Stier in Memphis teilgenommen. Dabei wurde ich – wie es zum Ritual gehört – mit einem Diadem gekrönt. Aber Rom glaubt, ich hätte mich zum Kaiser im Osten aufgeworfen!«
»Nach dem, was ich heute nachmittag bei meinem Barbier gehört habe, hatte sogar Ihr Vater seine Zweifel.«
»Da hätte Ihr Barbier sehen sollen, wie ich gestern in den Palast gestürmt kam und rief: Vater, da bin ich! Und was meinen Bruder angeht: Im Bürgerkrieg wäre er auf dem Kapitol beinahe ums Leben gekommen, als der Jupitertempel über ihm in Flammen stand. Mein Onkel, der ihn in politischen Dingen beraten sollte, war gerade von den Anhängern des Vitellius ermordet worden. Mit achtzehn Jahren, ohne jede politische Erfahrung, stellte Domitian plötzlich fest, daß er in Rom den Kaiser vertreten sollte. Das kam für ihn völlig unerwartet. Er traf Entscheidungen, die dumm waren, und heute weiß er das selbst. Niemand kann von mir verlangen, daß ich meinen Bruder verurteile, bloß weil er noch so jung ist!«
Ich fand Helenas Blick; wir schwiegen beide.
Titus massierte sich die Stirn.
»Was hört man bei Ihrem Barbier denn über diese Verwicklungen, Falco?«
»Daß Ihr Vater Untreue nicht ausstehen kann, daß er aber immer auf Sie hört. Daß Vespasian in Alexandria völlig außer sich geriet, als er von der Absicht Ihres Bruders erfuhr, sich an der Revolte gegen Vespasian in Germanien zu beteiligen, daß Sie ihn jedoch dazu bewogen, Nachsicht gegen Domitian zu üben.« Da er dies nicht bestritt, fügte ich noch hinzu: »Sie werden bemerken, daß ich mir meinen Barbier nach der Zuverlässigkeit der dort erhältlichen Informationen aussuche!« Helena Justina machte ein betrübtes Gesicht – wegen meiner verschwundenen Locken, so glaubte ich. Ich bemühte mich, sie nicht anzusehen. »Und was jetzt, Cäsar?«
Titus seufzte. »Mein Vater hat den Senat gebeten, ihm einen feierlichen Triumph zu gewähren. Wir werden die Eroberung Jerusalems mit dem großartigsten Umzug feiern, den Rom je erlebt hat. Wenn Sie Kinder haben, nehmen Sie sie mit; so etwas werden sie ihr Lebtag nicht wieder zu sehen bekommen. Das wird unser Geschenk an die Stadt – und ich möchte behaupten, von da an wird die Zukunft des flavischen Herrscherhauses gesichert sein.«
Es war Helena, die die Situation richtig einschätzte. »Seine beiden erwachsenen Söhne sind etwas, das Ihrem Vater als Kaiser besondere Anziehungskraft verleiht. Die Flavier verheißen Rom auf lange Sicht Stabilität, und deshalb müssen Sie beide, Sie selbst und Domitian, in der Parade mitreiten. Alles muß harmonisch wirken –«
Titus ging nicht darauf ein. »Ende dieser Woche wird die Stellung meines Vaters gefestigt sein. Falco, bei meinem Barbier hört man nämlich, daß sich von nun an weder die Prätorianer noch mein Bruder weiter am Widerstand gegen meinen Vater beteiligen werden. Diese Leute wollen nur noch die Drahtzieher aufstöbern und im übrigen nicht mehr an das Vergangene
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