Silberschwester - 14
Stirn,
statt dem Horn aus Gold und Silber, fiel zu Boden und trat vor Schmerzen wild
um sich.
Enya stürzte
zu dem Prinzen, riss ihn fort von dem zuckenden, um sich schlagenden Wesen,
schien er doch vom Gang der Dinge zu überwältigt, um sich selbst in Sicherheit
zu bringen.
»Wie …?«,
keuchte La Faie Suiateih. »Du riechst doch so nach Tod und Blut …«
»Diesen Umhang
trug ein frecher Räuber, den ich leider töten musste«, rief Enya und warf den
linken Hemdärmel zurück, worauf ein Unterarmverband mit frischen,
scharlachroten Blutflecken sichtbar wurde. »Das Blut musste ich eben opfern. Du
solltest glauben, ich sei hilflos, dem Tode nah, und sorglos werden.«
»Schlau …«
»Ich habe dir
doch gesagt: Sieh dir deine Toten genauer an!« Damit stieß sie ihr Schwert in
bequemer Reichweite in den Boden und wartete.
Schließlich
hörte das Wesen auf, so um sich zu treten, bekam ganz irdisch blaue Augen und
einen Glanz von innen her, der von reinstem Weiß war. »Nein«, sagte es, und da
sangen keine Engel mehr in seiner Stimme.
Das Horn aber,
das Enya hielt, zerfiel nun zu einer Hand voll Silber- und Goldstaub, den der
nächste Windstoß mitnahm, ein flüchtiger Schimmer im Wechsel von Sonne und
Schatten.
Und der Prinz
rang um Atem. Das glänzende Blau seiner Augen wurde zum klaren Grün, und das
Hörnchen auf seiner Stirn gab ein Rauchwölkchen von sich – verzischte dann, wie
Wasser auf der heißen Herdplatte, zu Nichts.
Da seufzte La
Faie Suiateih aus tiefer Seele, und eine weiße Lohe umfing es mit einem Schlag.
Und als das
blendend helle Licht dann erlosch, flüsterte der Prinz: »Ich verstehe das nicht
… Eine Frau?«
»Natürlich.
Sie wurde einst verwandelt, genau, wie sie dich verwandeln wollte«, sagte Enya,
wurde plötzlich rege, sprang auf, legte den Umhang ab und gab ihn ihm, zeigte
ihm, wie er ihn umzulegen habe, schlüpfte dann aus Harnisch, Kettenhemd, langem
Überhemd, sodass sie jetzt in Hosen und Stiefeln und ärmellosem Unterhemd
dastand.
Aber die
blonde braunäugige Frau dort im Grase, der sie ihr Überhemd hinhielt; sah mit
unverhohlenem Hass zu ihr hoch und zischte: »Behalt es!«
»Du kannst
doch nicht nackt im Wald herumlaufen!«, erwiderte Enya gelassen, gleichmütig.
»Bleib du mir
vom Leib mit deiner Menschlichkeit!«
»Wie du
willst.« Enya ließ das Hemd auf einen Haufen grobes Leinen da im Gras fallen
und sagte zu dem Prinzen: »Hoheit, wenn du bitte mitkommst, ich bringe dich in
ein paar Stunden nach Hause.«
Da sah er von
ihr zu der jetzt menschlichen La Faie Suiateih hin. »Sie – sie kann mit uns
kommen, oder?«
Enya gab bloß
einen unverbindlichen Laut von sich, schlüpfte wieder in ihr Kettenhemd, nahm
dann ihr Kurzschwert an sich und steckte es unter ihren Gürtel.
»Ich will
nicht in die Welt der Menschen zurück!«, schrie die blonde junge Frau und
bemühte sich, wieder auf die Beine zu kommen – diese beiden zarten Füßchen aus
Fleisch und Blut, die gerade noch vier harte, Funken schlagende Hufe gewesen
waren. »Der Wald ist mein Zuhause … Ich lebe schon seit über einem Jahrhundert
hier.«
Der Prinz
überlegte, zögerte, sagte dann: »Dies ist auch mein Zuhause. Ich kenne kein
anderes und will es nicht aufgeben.«
»Hoheit!«, hob
Enya an, um zu protestieren – aber ihr fehlten die Worte. All die Jahre hatte
sie genau gewusst, wie es sein würde: Die Königin würde überglücklich und mit
seliger Miene ihren Sohn umarmen … und sie, die ihn heil zurückbrachte, würde
als Heldin gepriesen und gerühmt werden. »Enya hat nie aufgegeben«, würden sie
alle sagen. »Sie hat La Faie Suiateih überlistet und ihre verlorene Ehre
wiedergewonnen.« Und dann würde sie, nicht länger eine Ausgestoßene, mit
offenen Armen, liebevoll wieder in Ihrer Majestät Schwerterlegion aufgenommen
werden.
Sie konnte
wieder nach Hause.
Aber damit das
alles geschah, musste der Prinz mit ihr gehen. »Hoheit«, sagte sie. »Das meinst
du doch nicht ernst!«
»Doch! Ich
gehöre nicht in die Welt der Menschen. Nicht mehr … jedenfalls. Vielleicht,
weil ich nun weiß, was es heißt, wieder sterblich zu sein …«
Enya ballte
die Hände zu Fäusten. Zu einem Kampf auf Leben und Tod war sie bereit gewesen.
Aber dagegen konnte sie weder mit Kraft noch mit ihrer Klinge etwas ausrichten.
Das war die einzige Art von Kampf, mit der sie nicht gerechnet hatte.
»Sie wird das
nie zulassen. Es ist eine Frage der Ehre.« Das Wort wurde in La Faie Suiateihs
wieder
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