Silberschwester - 14
einem
gewöhnlichen Kind wäre das so. Aber das ist kein gewöhnliches Wesen … wie du
wohl weißt!«
Diese Worte
trafen die Fürstin wie ein Peitschenhieb, sodass sie bei einem Blick auf ihre
nackten Arme erstaunt war, sie nicht mit blutigen Striemen gezeichnet zu sehen.
»Was willst du damit sagen? Wer bist du?«, fauchte sie. Der Kopf hämmerte ihr,
und sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
»Ich bin die,
die du, obzwar ganz unwillentlich, beschworen hast.«
»Was?« Die
Fürstin versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, ihre Wut, die Angst so weit wie
möglich zu zügeln, zu überwinden. Aber der Mund war ihr trocken, und sie
fühlte, wie ihr der Schweiß aus den Achselhöhlen rann, beide Arme hinunterlief.
»Beschworen? Ich habe doch nicht … Kornelia?«
»Ich wusste,
dass du schlau bist!«, rief der Geist zufriedenen Tons – wie eine Lehrerin
angesichts einer dummen Schülerin, die endlich das Offensichtliche begriffen
hat.
Da pochte man
schon hektischer an die Tür, und vom Gang her kam ein lautes Geschrei, aus dem
die Fürstin die Stimmen von Dienern und von Zofen heraushörte. Doch sie
ignorierte dies, widmete ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder der transparenten
Frau und dem zappelnden Bündel in ihren Armen. »Ja, aber … ich habe dich doch
nicht gerufen! Und ich weiß deinen Namen, habe also Macht über dich und …«
Kornelia
lächelte und schüttelte den Kopf. »Die Lebensnamen haben keine Macht über die
Toten. Selbst du, mit all deinen Ränken und Listen, solltest das ja wissen! Nun
wird es aber Zeit. Und wenn du ihm nicht gleich seinen wahren, in deiner kalten
Brust verborgenen Namen gibst, mache ich das, und die Folgen hast du dann zu
tragen … Also, entscheide dich, aber schnell!«
»So oder so,
ich verliere dabei!«, seufzte die Fürstin, mit einem Geschmack wie von Asche
auf der Zunge, dem Geschmack der Niederlage. Zugleich sann sie fieberhaft auf
Mittel und Weisen, das Schicksal zu täuschen, dieser Ungeheuerlichkeit zu
entgehen. Es war einfach nicht gerecht! Sie hatte alles, was sie sich wünschte,
und war fest entschlossen, es nicht an … ihr Kind zu verlieren.
Der Geist
Kornelias, der einstigen Fürstin Schwarzdorn, tat einen Seufzer, als ob er
diese ganze Sache satt habe und so bald wie möglich zu einem Ende bringen
wollte. »Das stimmt! Du hast bloß die Wahl, was du verlieren willst, zu
gewinnen gibt es für dich hier nichts. Diese Chance hast du mit dem Versuch
verspielt, das entstehende Kind loszuwerden. Dafür musst du nun bezahlen.«
Oh, ja, sie
war die Fürstin Schwarzdorn, und sie kannte alle Geheimnisse der Magie. Sie
wusste, dass der Geist Recht hatte und dass sie dies alles mit dem
Abtreibungsversuch über sich gebracht hatte. Doch sie empfand kein Bedauern und
kein Weh dabei, nur eine helle Wut darüber, dass er ihr missglückt war. »Dieses
Ding da wird mich vernichten … mir all meine Macht rauben und mich töten.«
»Ach, im
Gegenteil«, erwiderte Kornelia mit betrübter Miene. »Sie wird dir nichts, rein
gar nichts tun. Nein, du wirst alles Nötige tun …«
»Ich kann
nicht … ich kann es einfach nicht!«, jammerte die Fürstin, mit einer Stimme so
dünn im schmerzenden Hals, und tat, mit schleppenden Füßen, einen Schritt auf
Kornelia zu, als ob ihr Leib nicht mehr ihr selbst, sondern dem Geist
gehorchte. Unmöglich – die Toten konnten doch nicht über die Lebenden gebieten
–, da wäre doch überhaupt kein Frieden mehr in der Welt. Aber, weshalb war sie
dann nur noch eine Handbreit von Kornelia entfernt?
Sie schloss
die Augen und atmete tief durch, versuchte, sich wieder in die Hand zu
bekommen. Da fühlte sie, dass ihr Hals länger wurde, als würde er ihr aus dem
Leib gezogen. Sie wehrte sich dagegen. Doch wie sie den Kopf neigte, stieg ihr
ein Geruch in die Nase – ein reiner, warmer Geruch nach Milch und nach warmer
Haut. Also öffnete sie, wider ihren Willen, die Augen und sah auf das Kind
hinunter.
»Bedenke die
Folgen, die es hätte, wenn ich ihm seinen Namen gäbe, stolze Frau. Schrecklich
wären sie!«
Doch die
Fürstin nahm die Worte kaum wahr, starrte sie doch das Bündel an, das der Geist
in den Armen hielt, starrte in das winzige Gesicht mit den silbrigen Augen, dem
Rosenmund, der sogar zu lächeln schien … Doch als eine winzige Hand aus den
Windeln hervorkam, nach ihr langte, die Finger nach ihr griffen, fuhr sie
zurück, keuchte, halb unbewusst: »Sie sieht so viel. Das ertrage ich nicht!«
Nun trat in
dem Raum Stille
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