Silberschwester - 14
sie Menomy auf ihren
Schultern. Welches Spiel spielte die Göttin denn mit ihr armer Sterblicher?
Der Sultan
legte den Kopf schief. »Ein Stock, sagst du?«
Quiocet nickte
und führte nun vor, wie man einen Vexierring, ganz intakt, vom Finger auf einen
Stock schieben kann. »Das ist den Ehebrecherinnen hier in der Stadt nicht
unbekannt … Ich habe in meinem Kabinett immer nur den Ärmsten geholfen, denen
der Ring durch ein Ungeschick oder die Machenschaften Dritter auseinander
gefallen war.«
Der Sultan sah
seine Tochter an, die wieder ganz gelassen und schön war.
»Vater«, sagte
sie, »ich bin ohne Schuld. Lass mich nicht für das Verbrechen, dir eine Freude
machen zu wollen, sterben!«
Quiocet schien
das ein bisschen zu dick aufgetragen. Doch ein rascher Blick in sein Gesicht
sagte ihr, dass es ins Schwarze getroffen hatte.
»Sag, was muss
ich tun!«, seufzte der Sultan.
»Verkünde,
dass derlei Eheringe keinen schlüssigen Beweis für Untreue liefern. Damit
rettest du deiner Tochter und anderen unglücklichen, aber ehrbaren Frauen das
Leben. Du wirst als Iswara der Gerechte gerühmt werden. Warne die Männer vor
den Tricks der Ehebrecherinnen … und du wirst Iswara der Weise genannt werden.
Und tu allen kund, dass nur ein Richter, nach einem fairen Prozess, über Leben
und Tod einer Frau befinden kann, nicht aber ein totes Objekt …«
Der Sultan sah
missmutig drein: Der Gesetzesvorschlag gefiel ihm gar nicht. »Diese Trauringe
stehen für tausend Jahre der Tradition. «
»Tausend Jahre
der Torheit. Deine Pflicht als Sultan ist es, dem Volk das Licht der Vernunft
zu bringen, nicht wahr?«
So sprach
Quiocet, und da sah sie auch, wie die Sultana den strengen Vater anblickte, mit
feuchten braunen Augen um ein Einsehen bat. Wie geschickt sie sich anstellte!
Wo war bloß diese stolze junge Frau geblieben, die sie da am Abend zuvor kennen
gelernt hatte?
»Schön«,
murmelte der Sultan endlich. »Keine Frau soll durch einen Ring verurteilt
werden. Sein Zustand kann kein Beweis für ein Verbrechen sein.« Aber der
Gedanke an die Empörung, die seine Erklärung auslösen würde – nicht zuletzt in
seinem Hause, wenn nämlich sein Schwiegersohn deren Ursache erführe – ließ ihn
mürrisch die Unterlippe kräuseln.
Da zog aber
der Priester mild lächelnd eine Schreibtafel aus seiner Robe.
Der Sultan sah
Quiocet böse an – und da begriff sie, dass das Spiel der Sultana seinen
krönenden Abschluss fand … Jedem im Raum war ja bewusst, dass Bikkhu, der
Priester Amans, auch der höchste Scriptor des Ordens war.
Die Sultana
grinste ihren Vater an, umschlang seine Knie und sagte: »Weil also Quiocets Tun
kein Verbrechen mehr ist, ist sie wohl wieder frei.« Dann umarmte und umhalste
sie ihn und fragte: »Oh, wann hat je eine Tochter einen so mit Weisheit
gesegneten Vater gehabt wie ich?«
Ihr Vater ließ
sich durch ihr munteres Getue nicht ablenken. Er bekam ganz dunkle Augen und
musterte Quiocet böse. »Nun durchschaue ich dies«, fauchte er und stieß seine
Tochter von seinem Schoß. »Du hast sie dazu angestachelt!«
Aber da
beendete der Priester seine Niederschrift und hielt dem Sultan seinen Erlass
zur Unterzeichnung hin. Unterschrieben und besiegelt, würde diese Tafel mit
anderen heiligen Schriften dann im Tempel Amans aufbewahrt werden.
Quiocet
lächelte – um nicht geradeheraus zu lachen. »O nein, mein Sultan. Das war nicht
mein Werk. Deine Tochter war doch schon immer, genau wie ihre Mutter, eine
kluge Frau.«
ANNE CUTRELL
In der alten
»Schwert-und-Magie«-Literatur war die Frau viel zu oft nur eine Trophäe für
einen männlichen Helden. Darum vor allem habe ich die Reihe der Magischen
Geschichten gegründet. In Anne Cutrells Story nun lässt sich eine Prinzessin
– in einer klugen Variation dieses Plots – etwas zur Annahme des »Üblichen«
einfallen.
Über sich
selbst bemerkt Anne, sie sei 1974 in Argentinien geboren, aber Bürgerin der
USA. Und sie habe von der dritten bis zur zwölften Klasse immer nur
gelesen und gelesen, allerdings in der sechsten begriffen, dass sie besser mal
ihre Hausaufgaben machte … (Hätte mir das doch jemand klar gemacht! Ich musste
vor dem College nie richtig lernen und habe es darum auch nie gelernt. Es war
dann ein arger Schock für mich, feststellen zu müssen, dass mir nicht
alles in den Schoß fiel und ich mir selbst beibringen musste, wie man lernt.)
Sie habe also, sagt sie, erst in einem privaten College Graphik studiert und
dann an der
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